Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien
Das heutige Schöneberger „Haus am Kleistpark“ – Ort der kommunalen Galerien sowie der Musikschule – beherbergte vor einem Jahrhundert ein Botanisches Museum und die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien. An das Haus angrenzend befand sich ein bereits im Jahr 1679 vom brandenburgischen Kurfürst Friedrich Wilhelm gegründeter Botanischer Garten. Dieser Garten war stetig erweitert worden, sodass sich hier Ende des 19. Jahrhunderts neben den Gartenanlagen und Gewächshäusern auch ein Herbarium (Sammlung getrockneter Pflanzen), eine Bibliothek sowie besagtes Botanisches Museum befand. Mit dem Erwerb der ersten deutschen Kolonien in den 1880er Jahren sollte auch die dortige Flora verstärkt erforscht und für die Plantagenwirtschaft und den Handel nutzbar gemacht werden. Damit reihte sich auch das deutsche Kaiserreich in gängige imperiale und koloniale Praktiken ein, denen die Vorstellung zugrunde lag, Europa könne andere Länder vor allem als Ressourcenkammer für die eigenen Zwecke benutzen. Botanische Gärten und die ihr zugehörigen Einrichtungen fungierten hierbei oft als Knotenpunkte für koloniallandwirtschaftliches Wissen. Im Besonderen galt das für das Botanische Museum in Schöneberg. 1889 wurde es per Gesetz zusammen mit dem Berliner Museum für Naturkunde und dem Museum für Völkerkunde zum offiziellen Sammlungsort für Objekte aus Reichsexpeditionen. Aus der Erforschung und Analyse der Sammlungsobjekte erhoffte man sich unter anderem praktisches Wissen zur Durchdringung, Kontrolle sowie Ausbeutung der Kolonialgebiete.
1891 richtete der damalige Direktor des Botanischen Gartens, Adolf Engler, die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien ein. Fortan wurden in Schöneberg tropische Nutzpflanzen für den Anbau in den Kolonien analysiert, gezüchtet und versandt. Zudem stellte die Botanische Zentralstelle Informationen zur kolonialen Landwirtschaft bereit. In einem „Colonialhaus“ wurden Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao, Kautschuk und Vanille gezüchtet. Aufgrund der Empfindlichkeit der Sämlinge und Jungpflanzen war das „Colonialhaus“ nicht für das öffentliche Publikum zugänglich. Anders verhielt es sich mit dem Palmenhaus, das zur volksbildenden Präsentation tropischer Nutzpflanzen diente: Hier konnte die Berliner Bevölkerung tropische Gewächse wie etwa einen Kaffeebaum, Ölpalmen und Dattelpalmen betrachten und kennenlernen. Die Botanische Zentralstelle betrieb verschiedene Forschungen an kolonialwirtschaftlich interessanten Pflanzen wie etwa an der Sisal-Agave, deren Erkenntnisse für die exportorientierte Plantagenwirtschaft in den Kolonien von Nutzen sein sollten. Außerdem bildete sie Gärtner für den Einsatz in den Kolonien aus, denn die koloniale Ordnung sah vor, dass der Anbau vor Ort von weißen Menschen angeleitet werden sollte.
Die Botanische Zentralstelle entwickelte sich rasch zu einer global agierenden Institution, die weltweit botanisches Wissen, Samen und Pflanzen zirkulieren ließ. Im Jahr 1902 wurden von Schöneberg aus allein an das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) über 1000 lebende Pflanzen in mobilen Gewächshäusern verschickt. Dieses Institut wurde 1902 vor allem anlässlich von Problemen auf deutschen Kaffeeplantagen gegründet. Das Institut in Amani erforschte daraufhin Anbau, Ernte, Krankheiten und Schädlinge der Kaffeepflanzen genauer – koloniale Wissenschaft und Wirtschaft hingen hier also eng zusammen. Später spezialisierte sich das Institut auf den Anbau von Medizinalpflanzen wie Chinarinden-, Kampfer- und Eukalyptusbaum. Außerdem stand die Botanische Zentralstelle mit dem Botanischen Garten in Victoria (heute Limbe, Kamerun) in engem Kontakt. Auf der dortigen Versuchsplantage wurde eine Vielzahl an Nutzpflanzen und Obstsorten wie Kaffee, Pfeffer, Ölpalmen, Kakao, Ingwer, Ananas, Bananen, Mangos, Guaven, Zitrusfrüchte und Avocados angepflanzt. Die Arbeitsaufteilung auf dieser Plantage war streng hierarchisch organisiert: Die Direktoren und Gärtner kamen aus Deutschland, die Arbeiter_innen stammten aus Kamerun.
Pflanzen zirkulierten im globalen Netz jedoch auch zurück nach Schöneberg. So unternahm Engler als Leiter des Botanischen Gartens ab 1900 Reisen nach Afrika, von welchen er verschiedene Pflanzen etwa in getrockneter Form als Herbarbelege zu Forschungs- und Sammlungszwecken mitbrachte. Beachtenswert ist, dass Engler bereits vor 1900 zur Pflanzenwelt der Kolonien geforscht und gearbeitet hatte, denn die umfangreiche kolonialbotanische Sammlung ermöglichte es ihm, dies lange aus der Ferne und ohne Reisen zu tun.
Das Areal in Schöneberg erwies sich für die Zwecke des Botanischen Gartens und der Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien schon bald als zu klein und zudem imaginierten zeitgenössische Politiker einen größeren Wissenschaftsstandort nach britischem Vorbild. Ein neuer Botanischer Garten wurde in Dahlem errichtet, wohin auch die Botanische Zentralstelle 1902 verzog.
- Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Kapitels aus der Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“, die das Schöneberg Museum vom 19.5. bis 29.10.2017 zeigte.
Irene von Götz
Johanna Strunge
ORT
Botanisches MuseumHEUTE
Grunewaldstraße 6-7, 10823 BerlinZitieren des Artikels
Irene von Götz Johanna Strunge Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/botanische-zentralstelle-fuer-die-deutschen-kolonien/ (12.06.2024).
Literatur & Quellen
Katja Kaiser: Wirtschaft, Wissenschaft und Weltgeltung. Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien am Botanischen Garten und Museum Berlin (1891-1920), Berlin 2021.
Katja Kaiser/Heike Hartmann: Berlin. Botanischer Garten und Botanisches Museum, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, S. 145-149.
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