Geplantes Kolonialviertel
Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert wurde das Vorwerk Carlshorst zunächst als Villenviertel ausgebaut. Dort entstanden eine Trabrennbahn und ein Bahnhof, und die Gegend wurde an die Stadt Berlin angebunden. Außerdem wurden in jenen Jahren zukünftige Straßennamen geplant. Auch wenn die angedachten Straßen nur zum Teil tatsächlich gebaut wurden – die geplanten Namen blieben. Sie verweisen, wie im „Afrikanischen Viertel“ im Ortsteil Wedding des Bezirks Mitte, auf die Begeisterung, die Stadtplaner für das deutsche Kolonialprojekt empfanden.
So finden sich auf alten Karten geplante Straßen wie Aviser Straße, Burenring, Erongostraße, Gibeoner Straße, Gobabiser Straße, Kalaharistraße, Karrasstraße, Keetmanshooper Straße, Kuber Straße, Kunenestraße, Maltahöher Straße, Nauchastraße, Naukluftstraße, Otaviplatz, Rehoboter Straße, Rietfonteiner Straße, Sandfeldstraße, Swakopstraße, Usakoser Straße, Warmbader Straße und die Waterbergstraße. Die letztgenannten zwei Straßen wurden auch tatsächlich ausgebaut und bebaut. [1] All diese Namen beziehen sich auf koloniale Ortsbezeichnungen aus der ehemaligen deutschen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia. Sie bezeichnen Orte, Städte und Vororte deutscher Gründungen ebenso wie geografische Formationen. Was jedoch entscheidend ist: In ihnen klingt auch der Mord an den Völkern der Herero und Nama nach, den die sogenannte „Schutztruppe“ im Auftrag des Deutschen Reichs insbesondere zwischen 1904 und 1908 verübte. Die geplanten Straßennamen sollten an deutsche „Siege“ erinnern. Warmbad und Waterberg waren Orte, an denen die Deutschen Hereros ermordeten. Mit „Sandfeld“ bezeichneten die deutschen Kolonisatoren einen Teil der Omaheke-Wüste, in den die „Schutztruppen“ Tausende überlebende Herero in den sicheren Tod trieben.
Die Warmbadstraße entstand später wirklich, und behielt diesen Namen sogar, bis die Berliner Behörden sie 1976 in „Robert-Siewert-Straße“ umbenannten. Sie wird von der Ursula-Goetze-Straße gekreuzt, die bis 1976 noch nach dem Ort Waterberg benannt war. Robert Siewert und Ursula Goetze waren kommunistische Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime.
Clemens Maier-Wolthausen
ORT
Warmbadstraße/WaterbergstraßeHEUTE
Robert-Siewert-Straße/Ursula-Goetze-StraßeZitieren des Artikels
Clemens Maier-Wolthausen : Geplantes Kolonialviertel. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: http://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/geplantes-kolonialviertel/ (12.05.2023).
Literatur & Quellen
[1] Simons, Rotraut: Zwischen Treskowallee und Zwieseler Straße: Die Anfänge der Bebauung 1896-1918; in: Karlshorster (2010), H. 29, S. 4.