Das Missionshaus der Berliner Missionsgesellschaft

Im 19. Jahrhundert gründeten sich auch in Berlin zahlreiche Missionsgesellschaften und -vereine. Diese Gesellschaften bestehen teilweise bis heute und ihre Spuren sind im Stadtbild deutlich sichtbar. Ein Beispiel ist das ehemalige Missionshaus der Berliner Missionsgesellschaft, einer der ältesten und größten Missionsgesellschaften Deutschlands, das bis heute in der Georgenkirchstraße 70 im Bezirk Friedrichshain steht. Gegründet wurde sie 1824 unter dem Namen „Gesellschaft zur Beförderung der evangelischen Missionen unter den Heiden“ vor allem von preußischen Beamten, Adeligen und Professoren.[1] Die Missionstätigkeiten in Berlin gehen dabei auch auf den Pastor der Bethlehemskirche Johannes Jänicke zurück, der dort seit dem Jahr 1800 Missionare für ausländische Missionsgesellschaften ausbildete. Heute erinnert auf dem Bethlehemskirchplatz die Platz-Pflasterung und die Skulptur Memoria Urbana an den Grundriss und die Form des ehemaligen Kirchengebäudes. Der „lebendige Wunsch, sich dem Missionswerk anzuschließen“ wird in den Statuten der Berliner Missionsgesellschaft wie folgt begründet:  „Durchdrungen von Mitleid mit dem jammervollen geistlichen Zustand und der daraus folgenden äußerlichen Entartung und Verwilderung der Millionen Heiden, welche mit uns auf der Erde leben, und mit denen wir uns trotz der Entstellung des göttlichen Ehrenbildes stammverwandt fühlen; gegründet auf der Überzeugung, daß das Evangelium eine Kraft Gottes ist, selig zu machen alle, die daran glauben […].“[2]

Sehr deutlich wird das Selbstverständnis der Missionsgesellschaft, das sich zwischen der Abwertung der Heiden als vermeintlich wild und „unzivilisiert“ und der Idee der „Bekehrung“ dieser „entarteten Brüder“ bewegt.[3] Nach der anfänglichen Unterstützung bereits bestehender Missionsinstitutionen beschloss die Berliner Gesellschaft, bald auch selbst praktische Missionsarbeit zu leisten und eigene Missionare auszusenden. Ein wichtiger Schritt war die Gründung einer eigenen Missionsschule, in der die Missionsanwärter, die meist handwerklichen Berufen nachgingen, ihre theologische, praktische und sprachliche Ausbildung erhalten sollten.[4] [5] Bevor die Gesellschaft 1873 ihr Missionshaus in Friedrichshain baute, fand die Ausbildung in unterschiedlichen Mietwohnungen und dem ersten Missionshaus in Berlin Mitte statt.[6] Dass das zweite Missionshaus im Bezirk Friedrichshain gebaut wurde, ist vor allem durch eine hohe Spende eines anonymen Spenders zu erklären, der diese an die Bedingung knüpfte, das Haus an jener Stelle zu bauen Nach anfänglichen Zweifeln[8] äußerte sich die Gesellschaft jedoch durchweg positiv über das große Gelände, das „wie auserlesen für unsere Missionszwecke“ sei: „In größter Nähe an den Kirchhof der Bartholomäuskirche grenzend, bietet er [der Bauplatz, M.M] auf der einen Seite einen Blick auf diesen Kirchhof, auf der anderen auf den Friedrichshain. Er liegt in dem gesundesten und Theil der Stadt (…) Dem lärmenden Geschäftsverkehr der Stadt entrückt, liegt er dennoch noch innerhalb der früheren Umschaffungsmauern der Stadt und gewährt dadurch die Gelegenheit, allen geistigen Verkehr mit der Residenz und allen geistigen Hülfsquellen derselben zu vernetzen.“

Fortan fand ein großer Teil des Lebens rund um die Missionsgesellschaft auf diesem Gelände statt. Missionsanwärter wurden unterrichtet, das Komitee traf sich zu den Sitzungen und es wurden Versammlungen und Hausandachten gehalten. Außerdem wurden ein Museum sowie eine Bibliothek eingerichtet und Hausgäste – oft Missionare auf Heimaturlaub oder solche, die bald ausgesandt wurden – beherbergt.[10] Das Missionshaus sollte, wie es in den Berliner Missionsberichten steht, „sein das Mutterhaus und bindende Glied zwischen den einzelnen Hülfsvereinen und Missionsfreunden, die der Herr zu unserem gemeinsamen Missionswerke zusammengerufen hat, das Vaterhaus für die große Familie aller unserer Missionsgeschwister, in welchem sie auch, wenn sie dereinst in der Ferne wohnen, Heimathsrecht behalten.“[11]

Das Missionshaus war dadurch ein wichtiger Ort der Vernetzung der Missionsgesellschaft und ihrer Hilfsvereine, die vor allem Spenden für die Gesellschaft sammelten, um ihre Arbeit zu finanzieren.

Auch wenn die Gesellschaft nicht erst im Zuge des Kolonialismus damit begann, Missionare auszusenden – die ersten Missionsstationen wurden schon in den 1830er Jahren in Südafrika gegründet[12] – so veränderte sich doch das gesellschaftliche Interesse an der Mission im Zuge des deutschen Kolonialismus. Ganz konkret bedeutete es vor allem ein Ansteigen der Spendenbereitschaft für die Mission in der Bevölkerung.[13] Zentral dafür war die Idee des vermeintlich „zivilisatorischen Wertes“ des Christentums und damit auch der Missionstätigkeit, die aus der Gesellschaft selbst propagiert wurde. Beide stünden – wie es der Theologe Gustav Warneck im 19. Jahrhundert formulierte – zueinander wie „Ursache und Wirkung“.[14] Noch deutlicher wird der Zusammenhang zwischen vermeintlicher „Zivilisation“, der Mission, und dem Kolonialismus in der Argumentation des Missionars Gröschels: „Drückt die Kulturmacht allein auf die zumeist noch kulturlosen Völker durch ihre Maßnahmen, z.B. Besteuerung und damit Zwang zur Arbeit, so werden sie entweder erdrückt oder sie suchen die auf sie einwirkende Macht abzuschütteln. Da muss ihnen die Mission durch Einpflanzung des Christentums die helfende und versöhnende Hand entgegenstrecken und neben der äußeren Umwandlung die innere bei ihnen bewirken“.[15]

Dass diese Vorstellungen nicht selten direkt aus der Missionsgesellschaft propagiert wurden, zeigt sich auch in der Person Alexander Merenskys. Nachdem der Missionar Mitte der 1880er Jahre aus Südafrika zurückkehrte, begann er sich in der Kolonialbewegung zu engagieren. Der in der einschlägigen kolonialen Presse als „Vorkämpfer des kolonialen Gedankens“ bezeichnete Missionar war Mitbegründer eines kolonialen Vereins, der sich aktiv für die Kolonisation einsetzte. Später wurde Merensky Ehrenmitglied in der bekannten Deutschen Kolonialgesellschaft. Regelmäßig hielt er Vorträge, oft im Rahmen der Kolonialbewegung, und veröffentlichte Publikationen – nicht selten im Eigenverlag der Berliner Missionsgesellschaft – in denen sehr deutlich wird, dass er die Mission in den kolonialen Zusammenhang stellte. In einer Publikation von 1886 beschäftigte er sich beispielsweise mit der Frage, wie man die kolonisierten Menschen am besten zur Abgesehen davon, dass er u. a. zu dem Schluss kam, dass eine Verknappung von Land der Schlüssel für eine Aufnahme von „Lohnarbeit“ sei, argumentierte er an dieser Stelle auch für die Bedeutung der Mission im Prozess der Kolonialisierung. Da nur das Christentum in der Lage sei, die Menschen von ihrem „heidnischen Aberglauben und dem heidnischen Leben (zu) erlösen“, sei die „wahre Civilisation nur auf dem Grund des Christenthums“ möglich. Von diesem hinge letztendlich auch ab, „ob die Berührung mit den Europäern sie wirklich heben oder nur tiefer verkommen lassen“. Merensky kam zu dem Schluss, dass die „Ausbreitung des Christenthums, die christliche Mission“ der Kolonisation deshalb „die wesentlichsten Dienste leiste“. Deutlich wird die klare Hierarchisierung von Menschen und die Idee der vermeintlichen „kulturellen Hebung“ im Denken Merenskys. Die Christianisierung, die Zivilisierung und die Kolonialisierung gehen dabei Hand in Hand. Dass es, organisiert von Merensky, so auch zu direkter Zusammenarbeit zwischen Kolonialbewegung und den Missionsgesellschaften kam, ist nicht verwunderlich. Auf der Ersten Deutschen Kolonialausstellung 1896 in Berlin stellten die Missionsgesellschaften ihre Arbeit vor.

Mit Landkarten und Bibelübersetzungen sollten ihre „Thätigkeiten und deren Erfolge“ illustriert werden. Die Ritualobjekte aus den Kolonien wurden hingegen als „heidnisch“ verunglimpft. Die Wirkung der Ausstellung war aus der Perspektive Merenskys positiv. Die „hohe Bedeutung, die die evangelische Missionsarbeit für unsere Kolonien hat“ sei „in weiteren Kreisen in eindrücklicher Weise vorgeführt worden“[20]

Doch es blieb nicht bei den Kooperationen in Berlin. Alexander Merensky wurde in der Mission in der deutschen Kolonie auch tätig. Als das Deutsche Reich das heutige Tansania, Burundi und Ruanda als „Deutsch-Ostafrika“ offiziell unter deutsche Herrschaft stellte, begann auch die Berliner Missionsgesellschaft – auf Anraten Merenskys – mit ihrer Tätigkeit im heutigen Tansania. Der kolonialen Besetzung war die gewaltsame Niederschlagung antikolonialer Bewegungen von 1888–1890 vorausgegangen. Unmittelbar danach wurde Alexander Merensky einer der ersten Missionare, der im Auftrag der Gesellschaft die sogenannte Njassa-Expedition organisierte. Des Weiteren war er aufgrund seiner Sprachkenntnisse in die vermeintlichen „Vertragsabschlüsse“ involviert. So bereitete er die „koloniale Besitzergreifung Deutsch-Ostafrikas durch das Deutsche Reich entscheidend mit vor“.[21] In den darauffolgenden Jahren gründete die Berliner Missionsgesellschaft verschiedene Stationen auf dem Gebiet „Deutsch-Ostafrikas“. Ende des Jahres 1901 waren auf 13 Stationen ca. 16 Missionare tätig.[22] Die Mission in Afrika ist dabei nicht die einzige der Berliner Missionsgesellschaft, die unmittelbar im Zusammenhang mit der gewaltsamen kolonialen Expansion des Deutschen Reiches steht. Auch in der Kolonie Kiautschou im Norden Chinas begann die Gesellschaft 1898 mit ihrer Mission. Vorher wurde die Kiautschoubucht durch das deutsche Militär besetzt und – unter Androhung weiterer Gewalt – der fragwürdige Pachtvertrag, der Kiautschou zu einer deutschen Kolonie machte, unterzeichnet.[23] Auch hier wurden unmittelbar nach der kolonialen Unterwerfung Missionare ausgesandt und Missionsstationen gegründet.[24] Doch die Mission in Kiautschou war nicht die erste Tätigkeit der Gesellschaft in China. Schon 1882 übernahm sie die Arbeit anderer Missionsgesellschaften in Südchina, deren Tätigkeit vor allem auf Karl Gützlaff zurückgeht. Gützlaff besuchte schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Jänickesche Missionsseminar in Berlin und wurde als Missionar einer Niederländischen Missionsgesellschaft ausgesandt. Wie eng die Ausbreitung der Mission bereits im 19. Jahrhundert mit dem europäischen Kolonialismus verbunden war, wird an weiteren Tätigkeiten deutlich: So arbeitete Gützlaff zunächst für englische Handelsgesellschaften, die sich in China ausbreiteten, war als Übersetzer im Abschluss kolonialer Verträge tätig und arbeitete später direkt für die koloniale Regierung Hongkongs.[25] Diese Handlungen schienen für ihn in keinem Widerspruch zur Mission zu stehen: 1844 gründete er den Chinesischen Verein. Als er 1850 nach Deutschland reiste, um vor allem finanzielle und organisatorische Unterstützung für „seine Chinamission“ zu suchen, fand er diese auch im Umfeld der Berliner Missionsgesellschaft und den Hilfsvereinen. Es gründeten sich Vereine, die später auch Missionare nach China aussenden würden. Finanzielle Schwierigkeiten und wechselnde Verantwortungen begleiteten dieses Projekt, bis die Gesellschaft 1882 die Mission in China übernahm:[26] „Vielen Missionsfreunden schien es eine verächtliche Aufgabe, nur mit Kaffern und Hottentotten sich zu befassen, ein Staat von der Größe und Wichtigkeit Preußens, und dessen Hauptstadt Berlin, der Vorort der evangelischen Christenheit, müßte sich eine würdigere Aufgabe ersehen, und eine solche schien in der Eroberung des großen China nun vom Herrn selbst gewiesen zu sein“.[27]

Die Mission in Kiautschou entwickelte in der Folge einen ausgesprochen „nationalen Charakter“. Neben der Ausbreitung des christlichen Glaubens ging es schnell auch um die Verbreitung der deutschen Kultur und Lebensweise.[28] Streckenweise kam es zu einer direkten „Symbiose zwischen Mission und Kolonialismus“ in Kiautschou, die sich an einem Beispiel aus den Missionsberichten illustrieren lässt.[29] Es wird ein Fall beschrieben, in dem ein chinesischer Stadtpräfekt der Niederlassung der Missionare „Schwierigkeiten“ bereitet habe. Insgesamt sei er ein „Feind der Fremden“ und ein Unterstützer der „widerständischen Boxerbewegung“ gewesen. Deshalb sei eine deutsche militärische Expedition geschickt worden, der Stadtpräfekt öffentlich zurechtgewiesen und vermutlich gewaltsam abgesetzt worden.[30] Auch wenn die Absetzung wohl nicht nur durch die Haltung gegenüber den Missionaren, sondern vielmehr durch allgemeine deutsche Machtinteressen zu erklären ist, werden zwei Sachverhalte deutlich. Erstens, wie die Missionsgesellschaft für die Durchsetzung ihrer Ziele auf die „Machtstrukturen des Kolonialstaats“ zurückgriff[31] und zweitens, wie sehr die Interessen des Kolonialstaates und der Mission deckungsgleich waren.

Ähnliches zeigt sich auch in „Deutsch-Ostafrika“: Hier kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut zum Widerstand der Bevölkerung – die sogenannte Maji-Maji Bewegung richtete  sich gegen die repressive und ausbeuterische Kolonialherrschaft. Die Berichte der Missionsgesellschaft beziehen sich vor allem auf die religiösen Elemente, die der konkrete Auslöser der Widerstandsbewegung waren. So ist die Rede von einem „islamischen Fanatismus“ und dem Versuch der Bevölkerung mit Hilfe ihres „wüsten Zauberei-Aberglaubens die Herrschaft der Weißen abzuschütteln.“[32] In der Folge wurde auch hier die vermeintliche Wichtigkeit der Mission betont. Der Aufstand habe dabei erneut gezeigt, wie „verhängnisvoll es werden kann“, wenn die „Gefährlichkeit des heidnischen Aberglaubens und des Treibens der Zauberer wie überhaupt der religiöse Faktor in der Kolonialpolitik, unterschätzt wird.“[33] „So zeigt gerade dieser Aufstand, wie nötig zur Herstellung gesunder, friedlicher Zustände in unseren Schutzgebieten neben der Aufrichtung eines starken, festen Regiments die stille, innerliche Arbeit der Völkererziehung durch die christliche Mission ist“.[34]

Kaum berichtet wurde über die brutalen Reaktionen deutscher Truppen auf diese Bewegung.[35] Als die Missionsgesellschaft nach der Niederschlagung des antikolonialen Widerstandes ihre Arbeit wieder aufnahm und dabei scheinbar erfolgreicher war als zuvor, verwies der Missionsinspektor Axenfeld darauf, dass zwar keine „tiefen, religiösen Motive“ für die neue Kooperation verantwortlich seien: „Aber wir haben nun dadurch Gelegenheit, Gottes Wort zu predigen, das beste, was wir Weiße besitzen, dem Volk zu zeigen und anzubieten. Diese Gelegenheit, die Gott uns gegeben hat, wollen wir ausnutzen, so gut wir vermögen“.[36]

Sehr deutlich wird, wie die Missionsgesellschaft auch in „Deutsch-Ostafrika“ nicht nur die kolonialen Infrastrukturen nutzte, sondern ebenso die nach dem brutal niedergeschlagenen Aufstand sehr deutlichen Machtverhältnisse in den Kolonien.

Insgesamt waren im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert viele Missionsgesellschaften – auch aus Berlin – in den deutschen Kolonialgebieten tätig. Es gründeten sich Organe der Kooperation wie z.B. der Deutsche Evangelische Missionsausschuß, der, 1885 gegründet, als eine Vertretung der Missionsgesellschaften sowohl gegenüber der Regierung als auch den Kolonialgesellschaften funktionieren sollte.[37] In Berlin gab es zwischen den einzelnen Missionsgesellschaften Kooperationen, jedoch auch Konflikte. So missionierten sowohl die Berliner Missionsgesellschaft als auch die Herrnhuter Brüdergemeinde, die u. a. in Rixdorf ansässig war, in „Deutsch-Ostafrika“. Bevor die Mission begann, „teilten“ sie die Gebiete untereinander auf.[38] Auch die „Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika“ des Kolonisten Carl Peters, der die Kolonialisierung „Deutsch-Ostafrikas“ entscheidend vorbereitete, war hier tätig. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Missionsgesellschaften war gezeichnet von Konflikten. So gab es aus dem Umfeld der Berliner Missionsgesellschaft Kritik an der „Überbetonung des Nationalen“, was der Idee der weltlichen Mission entgegenstehe.[39] Die Pläne einer Vereinigung beider Gesellschaften scheiterten.

Auch wenn es durchaus unterschiedliche konkrete Ausrichtungen gab, bewegten sich die Missionsgesellschaften klar in einem kolonialen Unrechtssystem, das sie aktiv für sich zu nutzen wussten. Die Themen Kolonialisierung, vermeintliche „Zivilisierung“ und die Missionierung waren dabei konkret miteinander verbunden. So propagierten auch Berliner Missionare die Idee der Wichtigkeit der Mission. Dabei leisteten sie teilweise – z.B. durch Übersetzungen oder Expeditionen – der formalen Kolonialisierung Vorschub, waren als „Steuereintreiber“ oder in der Verwaltung direkt in das koloniale System eingebunden oder lehrten in der Missionsschule, aus der die koloniale Verwaltung neue „Angestellte“ rekrutierte.[40] [41] Gerade durch die Kooperation konnten die Missionsgesellschaften über ihre eigentliche „machtpolitische Schwäche“ hinwegtäuschen und ihre Vorstellungen gegenüber den kolonialisierten Menschen durchsetzen. Neben dieser direkten Zusammenarbeit gab es auch in den kolonialen und den missionarischen Vorstellungen Überschneidungen. Die eurozentristischen Ideen der „Zivilisierung“ waren beiden gemeinsam. Letztendlich sahen sich die Missionare selbst als Vermittler, nicht selten auch als „Anwälte der Eingeborenen“. Auch wenn es tatsächlich Konflikte gab, in denen Missionare „ihren Schützlingen“ beistanden, so bewegten sie sich zu jederzeit in einem kolonialen System, das sie meist nicht hinterfragten. Diese Vermittlung bedeutete so auch die Vermittlung des gewaltvollen deutschen Kolonialismus.

In den 1970er Jahren ging die Berliner Missionsgesellschaft im Berliner Missionswerk in West-Berlin auf. In der ehemaligen DDR setzte die Berliner Mission ihre ökumenisch-missionarische Arbeit im Auftrag des DDR-Kirchenbundes im alten Missionshaus fort. Heute ist das ehemalige Missionshaus in der Georgenkirchstraße ein Teil des Evangelischen Zentrums Berlin-Brandenburg. Das heutige Berliner Missionswerk wiederum ging aus dem Zusammenschluss von West und Ost 1991 hervor.  Auch wenn sich das Missionsverständnis des Missionswerks stark verändert hat, ist an dem Gebäude in der Georgenkirchstraße noch immer die biblische Aufforderung angebracht: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Heiden und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“[43]

provided by FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum

Abb. 1: Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896 : amtlicher Bericht über die Erste Deutsche Kolonial-Ausstellung / hrsg. von dem Arbeitsausschuss der Deutschen Kolonial-Ausstellung, Berlin 1897, S. 124.

Abb. 2: Original-Drucke aus dem Archiv der Berliner Mission / hrsg. vom Ökumenisch-Missionarischen Zentrum / Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1991.

Abb. 3: Original-Drucke aus dem Archiv der Berliner Mission / hrsg. vom Ökumenisch-Missionarischen Zentrum / Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1991, Abb. 7.

Mirja Memmen

ORT

Sebastianstraße 25 (heute 22-23)

HEUTE

Georgenkirchstr. 69/70

Zitieren des Artikels

Mirja Memmen: Das Missionshaus der Berliner Missionsgesellschaft. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/1824-in-friedrichshain-wird-die-gesellschaft-zur-befoerderung-der-evangelischen-missionen-unter-den-heiden-gegruendet/ (03.03.2025).

Literatur & Quellen

[1] Van der Heyden, Ulrich, „Die Berliner Missionsgesellschaft“, in: Van der Heyden, Ullrich/Zeller, Joachim (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002,, S. 63-67, hier S. 63.

[2] Richter, Julius, „Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824-1924, Berlin 1924, S. 9.

[3] Chun-Shik, Kim, Deutscher Kulturimperialismus in China. Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898-1914, Stuttgart 2004, S. 113.

[4]  Es gab zunächst Pläne der Vereinigung mit der Jänickeschen Missionsschule. Diese scheiterten aber auch aufgrund von Konflikten mit Jänickes Nachfolger Rückert (vgl. Richter, Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824-1924, S. 31).

[5] Vgl. Lehmann, Hellmut, 150 Jahre Berliner Mission, Erlangen 1974, S. 10; van der Heyden, Die Berliner Missionsgesellschaft, S. 64.

[6]   Richter spricht hier von einer Wohnung in der Rosenthaler Straße, dann in der Französischen Straße 33 und schließlich in der Lindenstraße 90 (vgl. Richter, Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824-1924, S. 32). Das erste Missionshaus baute die Gesellschaft in der Sebastiangasse in Berlin Mitte. Durch die Vergrößerung der Gesellschaft, den dadurch entstehenden Platzmangel und die anhaltende Feuchtigkeit des Geländes, beschloß sie umzuziehen. In den Missionsberichten ist die Rede davon, dass der Gesellschaft das „Scheiden aus dem alten Haus“ nicht leicht gefallen sei. Begründet wird der Auszug damit, dass die Gesundheit der im Haus lebenden Personen durch die andauernde Feuchtigkeit gefährdet gewesen sei (vgl. Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden, Missionsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden, Berlin 1872, S. 81).

[7]  Gesellschaft zur Beförderungen der Evangelischen Missionen unter den Heiden: Missionsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden, Berlin, 1829-1907. Berliner Missionsgesellschaft.  Vgl. Missionsberichte 1882, S. 82.

[8]  In den Missionsberichten ist die Rede davon, dass „die Nähe des Friedrichshains, die Entfernung von Mittelpunkt der Stadt und andere Bedenken” (Missionsberichte 1872, S. 330) die Gesellschaft zunächst von diesem Bauplatz Abstand nehmen ließen. Die Entscheidung für den Platz sei, zumindest laut  Missionsberichten, auch durch den günstigen Preis gefallen.

[9] Bodenstein, Roswitha, Die Schriftenreihen der Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1996, S. 83.

[10] Vgl.  Missionsberichte 1873, S. 328.

[11] Vgl. Missionsberichte 1874, S. 14.

[12] Vgl. van der Heyden, Die Berliner Missionsgesellschaft, S. 64.

[13] Vgl. Chun-Shik, Deutscher Kulturimperialismus in China, S. 113; Lehmann, 150 Jahre Berliner Mission, S. 92, 320.

[14] Gründer, Horst Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884-1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, S. 336.

[15] Luig, Ulrich, „Religion und Politik. Die Anfänge der Evangelischen Mission in Deutsch-Ostafrika“ in: van der Heyden, Ulrich/Brose, Winfried (Hg.): Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias – Zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika, 3. Auflage, Münster 1993, S. 96-106, hier S. 97.

[16] Vgl. D. Schreiber, A.W.: D., Alexander Merensky, in: Deutsche Kolonialzeitung. Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft, Jg. 35, 1918, S. 109.

[17] Merensky, Alexander, Wie erzieht man am Besten den N* zur Plantagenarbeit?, Berlin 1886, Walther & Apolant.

[18] Vgl. ebd., S. 34-36.

[19]  Ulrich van der Heyden verweist darauf, dass Merensky sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts kritischer mit der Kolonialpolitik auseinandersetzte. Die Rechtmäßigkeit des Kolonialismus habe er dabei nie in Frage gestellt (vgl. van der Heyden, Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, in: Habermas, Rebekka (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göttingen 2013, Vandenhoeck und Ruprecht. S. 49-60, hier S. 55).

[20] Vgl. Arbeitsausschuss der deutschen Kolonial-Ausstellung (Hg.), Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896. Amtlicher Bericht über die erste deutsche Kolonial-Ausstellung, Berlin 1897, S. 121, 127.

[21] Van der Heyden, Ulrich, „Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, S. 54; Klein, Thoralf, Mission und Kolonialismus – Mission als Kolonialismus. Anmerkungen zu einer Wahlverwandtschaft, Frankfurt a. Main/New York 2019, S. 8.

[22] Vgl. Ausschuß der deutschen evangelischen Missionen (Hg.), Die evangelischen Missionen in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten, Berlin 1902, S. 55.

[23]  Interessant ist, dass der Angriff auf zwei katholische Missionare in der Provinz Shandong als Vorwand für die Besetzung der Nordküste genutzt wurde; vgl. Klein, Mission und Kolonialismus,  S. 7. Die offizielle Bezeichnung als „Pachtgebiet“ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich faktisch um eine Kolonie handelte (Leutner, Mechtild, Nicht nur Kiautschou. Eine (fast) vergessene Geschichte, Online abrufbar unter: https://www.goethe.de/prj/zei/de/pos/21750527.html [letzter Zugriff 04.04.2022].

[24] Hier wurden 1901 drei Missionare im Dienst und ca. 104 Menschen getauft (vgl. Ausschuß der deutschen evangelischen Missionen, Die evangelischen Missionen in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten S. 101).

[25] Vgl. Freytag, Mirjam, Frauenmission in China. Die interkulturelle und pädagogische Bedeutung der Missionarinnen untersucht anhand ihrer Berichte von 1900 bis 1930, Münster 1994, S. 40; Beyer, Georg, Unsere Chinamission im Rahmen der ev. Missionsarbeit in China, Berlin ca. 1925, S. 5; Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 259.

[26]  In Berlin gründeten sich der Berliner Hauptverein für die Mission in China und der Frauenmissionsverein für China. Ab 1850 entsandte der Hauptverein Missionare. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten übernahmen die Barmer und die Baseler Missionsgesellschaft zeitweise die Arbeit in China, bis 1882 die Berliner Missionsgesellschaft diese übernahm.

[27] Vgl.  Missionsberichte 1882, S. 256.

[28] Vgl. Chun-Shik, Deutscher Kulturimperialismus in China, S. 114.

[29] Klein, Thoralf, „Aktion und Reaktion? Mission und chinesische Gesellschaft“, in: Leutner, Mechthild/Mühlhahn, Klaus (Hg.), Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900-1901, Berlin 2007, S. 32-43, hier S. 32.

[30] Die genaue Situation wird wie folgt beschrieben: „Einen bedeutenden Fortschritt machte die nordchinesische Berliner Mission mit der Errichtung einer Hauptstation in der zur deutschen Interessensphäre gehörigen Kreisstadt Tsimo, 45 Kilometer nördlich von Tsingtau gelegen, mit 40-50 000 Einwohnern. Von dort war die Bitte an die Missionare gekommen, auch Tsimo zu besetzen. Dies konnte wegen des fremdenfeindlichen Stadtpräfekten nicht sofort geschehen. Nachdem aber die deutsche Regierung die Entfernung desselben durchgesetzt hatte, standen im Dezember 1900 Kunze und Lutschewitz bei dem Nachfolger eine sehr freundliche Aufnahme.“ (Ausschuß der evangelischen Missionen, Die evangelischen Missionen in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten, S. 100)

[31] Vgl. Klein, Aktion und Reaktion?, S. 32.

[32] Vgl. Richter, Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824-1924, S. 650.

[33] Vgl.  Missionsberichte 1905, S. 462.

[34] Vgl. ebd., S. 413.

[35]  So wird ohne großes Aufheben über das Niederbrennen von Dörfern als Vergeltungsmaßnahme berichtet (vgl.  Missionsberichte 1905, S. 468). Außerdem wird die Befürchtung, dass der „Aufstand“ noch nicht dauerhaft „niedergeschlagen“ sei, wie folgt kommentiert: „Der noch aufrührerische Rest des verblendeten Volkes will lieber sterben, als sich der deutschen Regierung ergeben. So wird wohl das beklagenswerte Ergebnis der militärischen Maßnahme eine Entvölkerung weiter Strecken sein.“ ( Missionsberichte 1906, S. 464).

[36] Vgl.  Missionsberichte 1906, S. 466.

[37] Hamilton, Majida, Mission im kolonialen Umfeld. Deutsche protestantische Missionsgesellschaften in Deutsch-Ostafrika, Göttingen 2009, S. 63.

[38] Vgl. ebd., S. 77.

[39] Vgl. ebd., S. 78-79.

[40] Interessant ist, dass oft Menschen diese Schulen besuchten, die später in antikolonialen Bewegungen aktiv waren (vgl. Klein, Mission und Kolonialismus, S. 10).

[41] Klein, Mission und Kolonialismus, S. 9.

[42] Niesel, Hans Joachim, Kolonialverwaltung und Missionen in Deutsch Ostafrika 1890-1914. Dissertation Freie Universität, 1971 S. 332.

[43] Vgl. van der Heyden, Die Berliner Missionsgesellschaft, S. 63.

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