Das Kolonialpanorama in Kreuzberg
Das Kolonialpanorama (auch: Colonial Panorama, Panorama der Colonien oder Kamerun Panorama) wurde am 16.12.1885 auf einem Gelände zwischen der Wilhelmstraße 10 und der Friedrichsstraße 236 im heutigen Bezirk Kreuzberg eröffnet und galt fortan als eine Attraktion in Berlin.[1]
Die Eröffnung stand dabei im unmittelbaren Zusammenhang mit dem – auch formal – beginnenden, deutschen Kolonialismus. Nur wenige Monate zuvor hatten die Kolonialmächte das Schicksal des afrikanischen Kontinents auf der sogenannten „Afrika-Konferenz“ in Berlin verhandelt. Auch wenn sich die Kolonialisierung nicht allein auf die Konferenz zurückführen lässt, so gilt diese bis heute als „Menetekel für die Fremdbestimmung und Ausbeutung“ des afrikanischen Kontinents.[2] Infolge der Konferenz, auf der auch das Deutsche Reich seine „Schutzgebiete“ reklamierte, wurde der Kolonialismus in der Gesamtgesellschaft immer wichtiger: Neben den schon früher gegründeten Kolonialvereinen erschien der deutsche Kolonialismus verstärkt in Büchern und Bildern – kurz: in der Massenkultur. Insbesondere im Bürgertum kam es zu einer „Kolonialbegeisterung“.[3]
Allgemein waren sogenannte Panoramen im 19. Jahrhundert eine sehr beliebte Form der Massenunterhaltung. Ihre Rotundenbauten ermöglichten dem Publikum einen 360° Blick auf dort präsentierte, sehr große Rundgemälde, die meist Kriege (wie den deutsch-französischen Krieg 1870/71), oder auch Landschaften zeigten.[4] Das Kolonialpanorama in Kreuzberg war ein monumentaler Zentralbau mit Kuppeldach, mit einer Höhe von 23 Metern und einem Durchmesser von 30 Metern. Das zweistöckige Gebäude verfügte über Eingänge sowohl in der Friedrich- als auch der Wilhelmstraße. Da es etwas zurückgesetzt in der Häuserreihe stand, bewarben zahlreiche bunte Bemalungen das Gebäude, auch auf den Brandmauern der umliegenden Häuser.[5] Im Obergeschoss wurde ein 115 Meter langes Rundgemälde präsentiert, das die „Strafexpedition der deutschen Marine mit den Kriegsbooten der ‚Olga‘ und der ‚Bismarck‘ im Dezember 1884 auf den Ruinen der Bell Stadt, mit der die Erhebung (…) gegen das Bündnis des Häuptlings Bell mit den Deutschen niedergeworfen wurde“ zeigen sollte.[6] Zu sehen war der Augenblick, in dem die deutschen Matrosen eine Anhöhe stürmten. Offenbar sollte ein Moment der kolonialen Unterwerfung und der vermeintlichen deutschen Überlegenheit dargestellt werden. Das bemerkte auch eine zeitgenössische Rezension in der Illustrirten Zeitung: „Beim Beschauen dieser Scene kommt so recht das Gefühl zur Geltung, wie sehr Intelligenz und moralische Überlegenheit den uncivilisirten Völkern gegenüber wirken (…)“.[7] Ganz konkret ging es darum, den Besucher:innen zu ermöglichen, sich eines Gefühls der vermeintlichen Superiorität zu versichern.
Das riesige Gemälde konnten die Besucher:innen von einer drehbaren Plattform aus betrachten.[8] Im Sockelgeschoss des Gebäudes wurden zusätzlich zum Gemälde drei Dioramen und Gegenstände aus Kamerun inszeniert. Während die Dioramen eine „deutsche Factorei“, den Empfang des Königs Bells durch einen Admiral und den Beschuss einer Stadt inszenierten[9], sollten die Objekte laut eines Artikels in der Kolonialpresse auch die „Lebensbedingungen in unseren westafrikanischen Kolonien“, das Klima, die Gebräuche – schlichtweg „alles Wissenswerthe“ zum Ausdruck bringen.[10] Gezeigt wurden Waffen, Landes- und Handelsprodukte, Webstoffe, Schmiedearbeiten und auch Holzschnitzereien. Um eine vermeintlich „authentische Atmosphäre“ zu erzeugen, wurden diese Installationen durch die Ausstellung tropischer Pflanzen, durch Nebeldämpfe und durch künstliche Beleuchtung gerahmt.[11]
Als kommerzielle Unternehmer wussten die Besitzer des Kolonialpanoramas die koloniale Stimmung zu nutzen.[12] Der Initiator und zugleich der Eigentümer des Geländes, Architekt des Gebäudes und der Betreiber des Kolonialpanoramas war der Leipziger Architekt Carl Planer. Warum er das Panorama genau an dieser Stelle in Kreuzberg bauen ließ, ist heute nicht mehr eindeutig zu klären. Der Miteigentümer war der Münchener Historienmaler und Panoramist Louis Braun, der gemeinsam mit dem Maler Hans Petersen das Rundgemälde anfertigte.[13] Während Louis Braun die Figuren malte, gestaltete Hans Petersen die Landschaft. Als Zeichner und Berichterstatter für die Illustrirte Zeitung hielt er sich in Westafrika auf und war bei den Angriffen in Kamerun vor Ort. Er reiste gemeinsam mit Max Buchner, dem Vertreter von Gustav Nachtigal. Nachtigal wiederum kam als „Reichkommissar“ für Westafrika eine Schlüsselfunktion bei der Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft in den westafrikanischen Kolonien Kamerun und Togo sowie dem sogenannten „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia) zu. Während der deutschen Angriffe stahl Max Buchner auch verschiedene Kulturschätze. Die Tangué, eine hölzerne Schiffsverzierung, übergab er dem Münchener Ethnographischen Museum, wo sie sich bis heute befindet.[14]
Ob die Eigentümer des Kolonialpanoramas wirklich autonom handelten oder ob sie im Dienst der „Colonialvereine“ standen, lässt sich heute nicht mehr eindeutig sagen.[15] Das Kolonialpanorama wurde in der einschlägigen kolonialen Presse durchweg positiv besprochen. Die Deutsche Kolonialzeitung, das Organ des 1882 gegründeten nationalen Deutschen Kolonialvereins[16], schrieb, dass durch die Darstellungen „ein noch weit größeres Interesse für die, dem kolonialen Vorgehen Deutschlands zu dankenden tropischen Besitzungen erweckt werden dürfte.“[17] Deutlich wird auch in anderen Artikeln, dass insbesondere die „Belebung des kolonialen Interesses“ durch das Kolonialpanorama positiv bewertet wurde/erschien.[18] In einer Ausgabe aus dem Jahr 1886 wurde zudem ein Aufruf bzw. eine „ergebene Bitte“ zur Einsendung von Objekten aus Westafrika abgedruckt – Fernziel war eine „Art Kolonien-Museum in den hierzu bei Einrichtung des Gebäudes vorgesehenen Räumen.“ Auch wird ein Schreiben der Betreiber abgedruckt, in dem diese – insbesondere Hamburger Fährfirmen – für die bisherigen Einsendungen von Gegenständen danken. Übergeordnet ging es weiterhin darum, „an der Erweckung und Hegung des sicherlich zukunftsreichen kolonial-politischen Gedankens im deutschen Volk mitzuwirken.“[19] Ein Artikel verweist auf eine „Sammelbüchse im Panorama“ – die Spenden kamen der Kolonialmission zugute.[20]
Insgesamt stand das Kolonialpanorama also ganz im Zeichen der Kolonialbegeisterung im 19. Jahrhundert in Deutschland. Es entsprach dem Bild der offiziellen Kolonialpolitik und diente der „Inszenierung und der Rechtfertigung deutscher Kolonialinteressen“.[21] Ziele waren die Popularisierung und Steigerung des kolonialen Gedankens und die Möglichkeit für die Besucher:innen, sich mit der „Inbesitznahme der Welt“ zu identifizieren.[22] Am konkreten Beispiel des historischen Kreuzberger Ortes werden so Verbindungen zwischen Massenkultur, Kunstraub, Kolonialbewegung und konkreter Kolonialpolitik deutlich.
Laut der Deutschen Kolonialzeitung war das Kolonialpanorama sehr erfolgreich und wurde in den ersten fünf Monaten von 83.000 Menschen besucht.[23] Es war von neun Uhr morgens bis elf Uhr abends geöffnet. Der Eintrittspreis betrug eine Mark.[24] Als das Interesse in Berlin nachließ, wurde das Rundgemälde 1887 entfernt und danach erst in Dresden und dann in München ausgestellt. Das Panorama in Kreuzberg zeigte fortan ein Gemälde aus Norwegen. Schon im Jahr 1891, kurz vor dem Ende des „Panoramenbooms“, wurde das Gebäude verkauft und nur ein Jahr später abgerissen. Heute finden sich auf dem Kreuzberger Gelände keinerlei Spuren dieser Vergangenheit.[25]

Abb. 1: Außenansicht des Kolonialpanoramas, Zeichnung, Berlin, 1886. Quelle: Weidauer, Astrid: Berliner Panoramen der Kaiserzeit, Berlin 1996, S. 85.

Abb. 2: Außenansicht der Verbindungskolonnaden, Bauakte, Berlin, 1o.J.886. Quelle: Weidauer, Astrid: Berliner Panoramen der Kaiserzeit, Berlin 1996, S. 86.

Abb. 3: Ausschnitt aus "Strafexpedition in Kamerun", Louis Braun und Hans Petersen, Berlin, 1885. Quelle: Weidauer, Astrid: Berliner Panoramen der Kaiserzeit, Berlin 1996, S. 86.
Mirja Memmen
ORT
zwischen Wilhelmstraße 10 und Friedrichstraße 236HEUTE
Theodor-Wolff-Park, Wilhelmstr. 8Zitieren des Artikels
Mirja Memmen: Das Kolonialpanorama in Kreuzberg. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/das-kolonialpanorama-in-kreuzberg/ (03.03.2025).
Literatur & Quellen
[1] Zeller, Joachim, „Das Berliner Kolonialpanorama“, in: van der Heyden, Ullrich / Zeller, Joachim (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002,. S. 154-159, hier S. 154.
[2] Gouaffo, Albert / Tsogang Fossi, Richard, „Spuren und Erinnerung hundert Jahre nach der deutschen Kolonialzeit in Kamerun“, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 2019. Online abrufbar unter: https://www.bpb.de/apuz/297601/spuren-und-erinnerungen-hundert-jahre-nach-der-deutschen-kolonialzeit-in-kamerun [letzter Zugriff: 10.01.2021].
[3] Vgl. Weidauer, Astrid, Berliner Panoramen der Kaiserzeit,Berlin 1996, S. 27; Bowersox, Jeff, Raising Germans in the Age of Empire. Youth and Colonial Culture 1871-1914, Oxford 2013,S. 6.
[4] Vgl. Zeller, Das Berliner Kolonialpanorama, S. 154.
[5] Vgl. Weidauer, Berliner Panoramen der Kaiserzeit, S. 26-27.
[6] Vgl. ebd., S. 27.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Zeller, Das Berliner Kolonialpanorama, S. 155.
[9] Rühlemann, Martin W., Der Raub der Königsinsignie. Koloniale Begeisterung und Rassismus in München, München 2009. Online abrufbar unter: http://muc.postkolonial.net/files/2015/08/Raub-der-Ko%CC%88nigsinsignie_Ru%CC%88hlemann.pdf [letzter Zugriff:10.01.2021].
[10] „Kolonial-Politische Korrespondenz. Organ der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation und der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft“, Jg. 2. Nr. 45, Berlin 1886, S. 236.
[11] Vgl. Weidauer, Berliner Panoramen der Kaiserzeit, S. 27.
[12] Vgl. Zeller, Das Berliner Kolonialpanorama, S. 159.
[13] Vgl. Weidauer, Berliner Panoramen der Kaiserzeit, S. 27.
[14] Max Buchner verweist in einem Buch über Kamerun auf das Kolonialpanorama und bezeichnet dies als „landschaftlich überraschend gelungen“. Siehe: Buchner, Max, Kamerun. Skizzen und Betrachtungen, Leipzig 1887,S. 13.
[15] Oettermann, Stephan, Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt am Main 1980, S. 211.
[16] Der Deutsche Kolonialverein fusioniert gemeinsam mit der Gesellschaft für die deutsche Kolonisation 1887 zur Deutschen Kolonialgesellschaft. 1886 wird die Adresse des Vereins in einer Kopfzeile mit Markgrafenstraße 25 in Kreuzberg angegeben. Es kann sich hier aber auch lediglich um eine Adresse für die Korrespondenz halten. Vgl. Schreiben des Deutschen Kolonialvereins an den Verein für die deutsche Kolonisation. 03.03.1886. Bundesarchiv Berlin, Sig. Barch 8023/281).
[17] Deutsche Kolonialzeitung, Organ der deutschen Kolonialgesellschaft, Jg. 3 Nr. 4, Berlin 1886, S. 126.
[18] Deutsche Kolonialzeitung. Organ der deutschen Kolonialgesellschaft, Jg. 3 Nr. 8, Berlin 1886, S. 254.
[19] Vgl. ebd., S. 254-255.
[20] Kolonial-Politische Korrespondenz. Organ der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation und der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft, Jg. 3 Nr. 18. Berlin: 1887. S. 143.
[21] Vgl. Rühlemann, Der Raub der Königsinsignie. Koloniale Begeisterung und Rassismus in München.
[22] Vgl. Weidauer, Berliner Panoramen der Kaiserzeit, S. 26-27.
[23] Vgl. Deutsche Kolonialzeitung, 1886, Nr. 8, S. 254.
[24] Auch wenn die Rede davon ist, dass das Kolonialpanorama von Menschen „aller Schichten“ besucht wurde, so spricht Stephan Oettermann zu Recht davon, dass eine Mark zu dieser Zeit für eine*n Arbeiter*in sehr wenig Geld war. Er geht deshalb davon aus, dass das Kolonialpanorama eher eine Institution für das Kleinbürgertum war (vgl. Oettermann, Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, S. 188).
[25] Vgl. Ebd. S. 192.
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