Der Missionar Alexander Merensky

Im Jahr 1855 trat der damals 18-jährig Alexander Merensky seine Ausbildung zum Missionar bei der Berliner Missionsgesellschaft (BMG) an.[i] Nach einer dreijährigen Ausbildung wurde er nach Südafrika „abgeordnet“ und brach zusammen mit seinem Kollegen Heinrich Grützner (1834–1910) auf, um neue und eigene Missionsgebiete zu erschließen.[ii] Ihr Hauptprojekt war die Gründung der Missionsstation Botshabelo in der Nähe der heutigen Stadt Mpumalanga.[iii]

Als Missionar in Südafrika

Missionierung wird heute nicht mehr als einseitiger, linearer Vorgang eines kulturellen Aufzwingens westlicher Werte und christlicher Lehren verstanden. Die neuere Missionsgeschichte betrachtet Mission als Ergebnis von konkretem Handeln verschiedener Menschen vor Ort, als „cultural encounter“, als Prozess, dessen konkretes Beziehungsgefüge und soziale Praxis rekonstruiert werden müssen.[iv] Allerdings veränderte die zunehmende Kolonisierung massiv die jeweiligen Machtverhältnisse und die Handlungsmöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung.

Als Merensky seine Missionstätigkeit begann, waren Missionare im südlichen Afrika noch vollständig auf die Duldung und das Wohlwollen der einheimischen Bevölkerung und deren Anführer angewiesen. Die Anwesenheit von Missionaren in den jeweiligen afrikanischen Gesellschaften konnten jedoch komplexe und zum Teil tiefgreifende soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Prozesse auslösen. Denn das Anliegen der Missionare ging über die Etablierung einer neuen Religion hinaus, sie wollten Einfluss nehmen auf moralische und sittliche Fragen und Praktiken, auf Alltagsabläufe und Arbeitsweisen, auf Einstellungen und Weltsichten.

Als die Kolonialisierung voranschritt, arbeiteten Kolonialbehörden und Missionare zunehmend zusammen. Alexander Merensky war ein Anhänger einer engen Kooperation zwischen Kolonialmacht und Mission, die seit den 1880er Jahren unter dem Stichwort „Kolonialmission“ propagiert wurde.[v]

Bereits vier Jahre nach seiner Aussendung nach Südafrika heiratete Merensky in Durban Marie Liers (1838–1919). Die Merenskys bekamen neun Kinder, von denen sieben überlebten. Ehefrauen von Missionaren waren unbezahlte Haus- und Familienarbeiterinnen, Erzieherinnen und Pflegerinnen. Die Missionsarbeit im engeren Sinne, die Verkündigung des Evangeliums, war offiziell den ausgebildeten und ordinierten männlichen Missionaren vorbehalten; nicht immer wurden jedoch diese Rollenzuweisungen eingehalten.[vi] Gleiches galt für die Rollenverteilung zwischen weißen Missionaren und den einheimischen Evangelisten, also afrikanischen Christen, die zwar noch nicht ordiniert waren, sich aber auf vielfältige Weise, als Seelsorger, Lehrer oder Prediger in die Gemeinde einbrachten.[vii]

Alexander Merensky regierte in „seiner“ Missionsstation Botshabelo nahezu absolutistisch. Zeitgenössische Quellen beschreiben ihn als unermüdlich tätigen Chef, der jedoch weder Aufgaben delegierte noch Macht teilte. Dadurch verlor er im Laufe seiner Tätigkeit die Sympathie vieler afrikanischer Christen. Im Krieg zwischen Großbritannien und der Südafrikanischen Republik lavierte er zwischen beiden Parteien und büßte das Vertrauen beider ein. Nach 23 Jahren im Missionsdienst im Süden Afrikas kehrte Merensky 1882 nach Berlin zurück.[viii]

„Innere“ Mission und Kolonialpropaganda

Nach seiner Rückkehr nach Berlin arbeitete Alexander Merensky zunächst für die sogenannte Innere Mission, also die christliche Bekehrung der ärmeren Großstadtbevölkerung. Merensky wurde Inspektor der Berliner Stadtmission, die vom Hofprediger und antisemitischen Politiker Adolf Stoecker (1835–1909) geleitet wurde. Zuständig war er für den Berliner Norden, u. a. für den heutigen Stadtteil Prenzlauer Berg.[ix]

Die Merenskys wohnten auch im Berliner Norden, zunächst in Moabit. Um 1888 zog die Familie für ein gutes Jahrzehnt in den heutigen Prenzlauer Berg. Sie wohnte zunächst in der Belforter Straße 4, ab 1894 für weitere fünf Jahre in der damaligen Weißenburger Straße 5 (heute Kollwitzstraße 10) am Senefelderplatz.[x]

Weiterhin engagierte sich Alexander Merensky in der deutschen Kolonialbewegung. Er wurde Mitglied der u. a. von Carl Peters (1856–1918) gegründeten „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“. Merenskys Biograf Hermann Petrich war überzeugt, dass Merensky unter den „evangelischen Missionsmännern“ zu denjenigen gehörte, die „am entschiedensten für den deutschen Kolonialerwerb“ eintraten.[xi]

1885 gewann Merensky den ersten Preis eines Aufsatzwettbewerbs unter der Fragestellung: „Wie erzieht man am besten den N[…] zur Plantagenarbeit?“ Merenskys Text ist voller verallgemeinernder und rassistischer Wertungen. Er erteilt Ratschläge über den Umgang mit Einheimischen und empfiehlt machtpolitische Maßnahmen. Zugutehalten kann man ihm, dass er rohe physische Gewalt weitgehend ablehnt und dass er auch Fehler der Kolonialmächte benennt. Dennoch zeigt sein Aufsatz den unbedingten Willen zur Machtausübung und das christlich-europäische Überlegenheitsdenken.[xii]

Kolonialmission

Seit 1886 arbeitete Merensky wieder für die BMG.[xiii] Vermutlich auf Drängen Merenskys beschloss die BMG 1890 in der deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ tätig zu werden und schickte eine Expedition unter Leitung Merenskys an das nördliche Ende des Njassasees (Malawisees).[xiv] Ziel war es, bei den Nyakyusa (auch Sokile, Ngonde, in den Quellen der deutschen Missionare Konde) für das Christentum zu werben. Die Nyakyusa verfügten über weiträumige Handelskontakte, standen im Austausch mit ihren Nachbarn und behaupteten bereits seit Jahrhunderten ihre Unabhängigkeit. Die Missionare wurden freundlich aufgenommen und als Gesprächs- und Interaktionspartner angesehen.[xv]

Die Missionare legten jedoch mit ihren Stationen nicht allein den Grundstein für die christliche Missionsarbeit. Merensky hatte darüber hinaus Anteil an der europäischen Erschließung des Landstriches: Er zeichnete Karten, erforschte und beschrieb die Geografie, Botanik sowie die Kultur der Einheimischen. Er dachte über die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Bodenschätzen und über die Infrastruktur des Gebietes nach und er beriet die deutsche Kolonialverwaltung und die Kolonialtruppe.[xvi]

Nach beinahe zweijähriger Afrikareise kehrte Merensky 1893 nach Berlin zurück. 1894 wurde er offiziell zum Missionsinspektor der BMG ernannt und war von nun an für die Missionsarbeit in der deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ zuständig.[xvii] Merensky nutzte die Popularität der Kolonialbewegung und die hohe mediale Präsenz, die die Kolonien hatten, um für die Missionstätigkeit der BMG und gleichzeitig für deutschen Kolonialbesitz zu werben. Er hielt Vorträge, publizierte und war bis in höhere Regierungskreise vernetzt.

Maßgeblich war er an Kolonialausstellungen in Berlin beteiligt, lieferte Ausstellungsobjekte und Textbeiträge für die Kolonialausstellung, die 1896 im Treptower Park im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung stattfand.[xviii] Viele der von Merensky zusammengestellten Objekte aus dem Missionsalltag gingen nach Abschluss der Kolonialausstellung im Herbst 1896 in das Inventar des neu gegründeten „Deutschen Kolonialmuseums“ über.[xix] Bei der Eröffnung der „Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung“ 1907 in Friedenau gehörte Merensky als Vertreter der evangelischen Missionsgesellschaften neben Herzögen, Prinzen, Staatssekretären und hohen Militärs zu den Ehrengästen.[xx]

Merensky verfasste wissenschaftliche Arbeiten, historisch, geografische und ethnologische Texte und in den expandierenden kolonialen Wissenschaften genoss er großes Ansehen.[xxi] Außerdem veröffentlichte er diverse Kinderbücher mit Geschichten zum Thema Mission und Kolonisation in der Reihe „Missionsschriften für Kinder“. [xxii] In seinen letzten Lebensjahren wohnte Alexander Merensky in der Charlottenburger Fasanenstraße und starb 1918, ein Jahr vor seiner Ehefrau Marie.

provided by Museum Pankow

Johanna Niedbalski

ORT

Belforter Straße 4

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Zitieren des Artikels

Johanna Niedbalski: Der Missionar Alexander Merensky. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/der-missionar-alexander-merensky/ (25.10.2024).

Literatur & Quellen

 

[i] Dies ist die stark gekürzte Fassung eines längeren Aufsatzes über Alexander Merensky, der erschienen ist in: Bernt Roder (Hg.), (De)Koloniale Spuren in Pankow, Berlin 2004, S. 9-25. Dieser gedruckte Aufsatz enthält weitere biografische Details, historische Einordnungen und ausführliche Literatur- und Quellenangaben.

[ii] Vgl. Hermann Petrich, Alexander Merensky. Ein Lebensbild aus der deutschen evangelischen Mission des letzten Jahrhunderts, Berlin 1919, S. 40f. Die BMG hieß damals noch offiziell Gesellschaft zur Förderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden.

[iii] Vgl. Hierzu ausführlich: Andrea Schultze, „In Gottes Namen Hütten bauen“. Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die Evangelisch-Lutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005, München 2005, S. 321ff; Peter Delius, The Land Belongs To Us. The Pedi Polity, the Boers and the British in the Nineteenth-century Transvaal, London, Nairobi u. a. 1984, S. 108ff.

[iv] Vgl. Schultze, „In Gottes Namen“, S. 51ff; Rebekka Habermas, Mission im 19. Jahrhundert – Globale Netze des Religiösen, in: Historische Zeitschrift (2008) Heft 3, S. 629ff; Rebekka Habermas, Richard Hölzl, Mission global – Religiöse Akteure und globale Verflechtungen seit dem 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.), Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln u. a. 2014, S. 9ff; Andreas Eckl, Grundzüge einer feministischen Missionsgeschichtsschreibung. Missionarsgattinnen, Diakonissen und Missionsschwestern in der deutschen kolonialen Frauenmission, in: Marianne Bechhaus-Gerst, Mechthild Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 144f.

[v] Ausführlich hierzu vgl. Schultze, „In Gottes Namen“, S. 321ff.

[vi] Vgl. etwa Dagmar Konrad, Missionsbräute. Pietistinnen des 19. Jahrhunderts in der Baseler Mission, Münster u. a. 2013; Eckl, Grundzüge einer feministischen Missionsgeschichtsschreibung, S. 132ff.

[vii] Vgl. etwa Ulrich van der Heyden, Martinus Sewushan. Nationalhelfer, Missionar und Widersacher der Berliner Missionsgesellschaft, Neuendettelsau 2004; Schultze, „In Gottes Namen“, S. 64ff, 340; Merensky, Erinnerungen aus dem Missionsleben, S. 143, 291, 311f; Lehmann, 150 Jahre, S. 88.

[viii] Vgl. Schultze, „In Gottes Namen“, S. 339,347ff; Ulrich van der Heyden, Alexander Merenskys Beitrag zur ethnographischen und historischen Erforschung der Völkerschaften Südafrikas, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 32 (1991) Heft 2, S. 263ff; Ulrich van der Heyden, Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, in: Rebekka Habermas, Alexandra Przyrembel (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göttingen 2013, S. 49ff. Merenskys Korrespondenz sowie Unterlagen zu den Südafrikanischen Missionsstationen befinden sich in diversen Akten des Archivs des Berliner Missionswerks im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv in Berlin.

[ix] Zur Berliner Stadtmission vgl. Martin Greschat, Die Berliner Stadtmission, in: Kaspar Elm, Hans-Dietrich Loock (Hg.), Seelsorge und Diakonie in Berlin. Beiträge zum Verhältnis von Kirche und Großstadt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Berlin u. a. 1990, S. 451ff; Evangelisches Volkslexikon zur Orientierung in den sozialen Fragen der Gegenwart, redigiert von Theodor Schäfer, Bielefeld 1900, S. 720.

[x] Vgl. Eintragungen in den Berliner Adressbüchern der entsprechenden Jahrgänge.

[xi] Petrich, Alexander Merensky, S. 178.

[xii] Merensky, Wie erzieht man am besten den N[…] zur Plantagen-Arbeit?, Berlin 1886.

[xiii] Vgl. Petrich, Alexander Merensky, S. 172ff.

[xiv] Zu den Beweggründen, „Deutsch-Ostafrika“ als Missionsgebiet zu wählen, vgl. van der Heyden, Zu den politischen Hintergründen, hier S. 93ff. Zu den Verhandlungen und Absprachen mit britischen Missionsgesellschaften vgl. Alexander Merensky, Der Njassa-See als Gebiet für deutsche Missions-Thätigkeit, Berlin 1890, S. 3ff, in: BArch R 1001/844.

[xv] Zur Geschichte und Kultur der Nyakyusa vgl. Peter Weber, Ritual und Identität. Vorkoloniale Geschichte in Unyakyusa von ca. 1600 bis 1897, Hamburg 1997.

[xvi] Vgl. Merensky, Deutsche Arbeit; Petrich, Alexander Merensky, S. 190. Vgl. auch Der Kohlenfund in Deutsch-Ostafrika, in: Friedenauer Lokal-Anzeiger, 04.11.1896. Obwohl Merensky die am nördlichen Ende des Malawisees lebenden Menschen in gewohnt überheblich-paternalistischer Art als freundlich, liebenswert und harmlos schilderte, kam es einige Jahre nach seiner Abreise 1897 zu einem Aufstand der Nyakyusa, der in der deutschen Kolonialliteratur als „Konde-Aufstand“ bezeichnet wird. Zu dieser Zeit hatte sich das Kolonialregime der Deutschen am Malawisee bereits etabliert, und sie hatten in der Stadt Langenburg eine Militärstation errichtet. Die Bevölkerung litt unter einer willkürlichen Rechtsprechung, den Zumutungen der Zwangsarbeit und unter Übergriffen der „Askaris“, also afrikanischen, aber zumeist ortsfremden Polizisten und Soldaten im Dienst der Kolonialbehörde. Vgl. Weber, Ritual und Identität, S. 235.

[xvii] Vgl. Lehmann, 150 Jahre, S. 97f; Petrich, Alexander Merensky, S. 190ff.

[xviii] Vgl. Alexander Merensky, Die Ausstellung der evangelischen Missionen, in: Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896. Amtlicher Bericht über die Erste Deutsche Kolonial-Ausstellung, hg. vom Arbeitsausschuss der Deutschen Kolonial-Ausstellung, Berlin 1897, S. 121ff. Zur Kolonialausstellung vgl. die Dauerausstellung „zurückgeschaut | looking back. Die Erste Deutsche Kolonialausstellung von 1896 in Berlin-Treptow“ im Museum Treptow seit Oktober 2021. Vgl. auch Johanna Niedbalski, Die ganze Welt des Vergnügens. Berliner Vergnügungsparks der 1880er bis 1930er Jahre, Berlin 2018, S. 249ff.

[xix] Zum Kolonialmuseum vgl. Joachim Zeller, „Das Interesse an der Kolonialpolitik fördern und heben“. Das Deutsche Kolonialmuseum in Berlin, in: van der Heyden, Zeller (Hg.), Kolonialmetropole Berlin, S. 142ff.

[xx] Vgl. Eröffnung der Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung, in: Friedenauer Lokal-Anzeiger, 15.05.1907; Eröffnung der Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung, in: Berliner Börsen-Zeitung, 15.05.1907.

[xxi] Vgl. van der Heyden, Alexander Merenskys Beitrag zur ethnographischen und historischen Erforschung, S. 263ff.

[xxii] Sie hießen etwa „Eine neue Missionsstation im Inneren von Deutsch-Ostafrika“ (1896), „Der blinde Josef“ (1898) oder „Etwas aus der Mission in Kaiser-Wilhelmsland, Neuguinea“ (1901).

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