Die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika

Im Juli 1901 lässt die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika ihr Missionshaus in der Zehlendorfer Straße 55 (heute Finckensteinallee) in Lichterfelde im heutigen Bezirk Steglitz-Zehlendorf bauen. Sie ist die dritte Missionsgesellschaft in Berlin, die in der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ missioniert. Im Jahr 1902 arbeiten 26 Missionare im Dienst der Gesellschaft.[1]

Auch wenn nahezu alle Missionsgesellschaften auf unterschiedliche Art und Weise mit der kolonialen Expansion des deutschen Reiches verbunden sind, ihr Vorschub leisten und von ihr profitieren, ist die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika eine explizit koloniale Gründung. Sie wird 1886 als Deutsch-Ostafrikanische Missionsgesellschaft von führenden Kräften der Kolonialbewegung ins Leben gerufen.[2] Auch Carl Peters, der die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ (heute: Tansania, Ruanda, Burundi) mit Betrug und Gewalt etabliert und aufgrund seiner Brutalität unter Afrikaner*innen als „blutige Hand“ bekannt ist, ist wesentlich an der Gründung beteiligt. Für viele der Gründungsmitglieder geht es darum, die Mission ganz explizit in den Dienst der kolonialen Expansion zu stellen und auch Carl Peters machte sich Gedanken darüber, wie sie ein „werktätiger Faktor“ bei der „Erschließung Ostafrikas“ sein könne.[3] Zum Missionsinspektor der Gesellschaft wird der kolonialfreundliche Carl Gotthilf Büttner, der ab 1890 in der Grunewaldstraße in Steglitz lebt.[4] In einer Abhandlung von 1885 mit dem Titel „Christentum und Kolonialpolitik“ vertritt er die These, dass „die kolonialen Unternehmungen unseres Reiches in Südwestafrika wesentlich an die Arbeit der deutschen Missionare anknüpften, welche dort durch die Predigt des Evangeliums den Grund zur Civilisation gelegt haben.“[5] Tatsächlich ist Büttner selbst auch ganz konkret in diese „kolonialen Unternehmungen“ involviert: 1885 reist er im Auftrag der deutschen Reichsregierung in das heutige Namibia. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und seiner Kontakte wird der ehemalige Missionar – wie viele andere – für den Abschluss der betrügerischen Kolonialverträge (sogenannte „Schutzverträge“) engagiert. So trägt er zur Gründung der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ bei.[6] Die Anfänge der Missionsgesellschaft gehören so eindeutig in die Kolonialbewegung.[7] Sowohl finanziell als auch personell gibt es viele Überschneidungen. Schon früh wird dies von den sogenannten „alten“ Missionsgesellschaften kritisiert. So lehnt Gustav Warneck, ein Theologe im Umfeld der Berliner Missionsgesellschaft in Friedrichshain die Gründung als zu kolonialistisch ab.[8] Trotzdem kooperieren beide Gesellschaften miteinander.[9] Doch auch innerhalb der Missionsgesellschaft selbst kommt es zu Konflikten, die 1887 mit dem Austritt von Carl Peters und der Umbenennung in Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika enden.[10] In der Folge wird der erste Missionar ausgesandt und die erste Missionsstation in der Nähe von Dar es Salaam gegründet.[11]

Doch diese Kolonialmission bleibt nicht ohne Reaktion. Als die ostafrikanische Küstenbevölkerung 1888/89 Widerstand gegen die Kolonialisierung leistet, wird auch die Missionsstation aufgrund ihrer engen Anbindung an die Deutsch Ostafrikanische Gesellschaft angegriffen. Erst als der Widerstand durch das Deutsche Reich gewaltsam niedergeschlagen wird, kann die Missionsgesellschaft 1890 ihre Arbeit fortsetzen.[12]

Parallel entfalten sich auch um den in Steglitz lebenden Büttner Konflikte. Er kommentiert einen Artikel aus der Deutschen Kolonialzeitung, in dem über die menschenverachtende Behandlung der kolonisierten Menschen jovial berichtet wird, kritisch und schlussfolgert, dass wenn „unsre Landsleute in solcher Weise mit den Eingeborenen umgehen, dann darf man sich nicht wundern, daß diesen zuletzt die Galle überläuft und daß sie zu Waffen greifen. Und man kann sich denken, wie schlimm es manchmal zugegangen sein mag, wenn man es wagt, sich solcher Unthaten noch öffentlich zu rühmen.“[13] In der Folge wird er 1889 aus dem Dienst entlassen.[14] Obwohl Büttner hier die Gewalt in der Kolonie kritisiert, lehnt er die Kolonisierung an sich jedoch keineswegs ab.

Auch als 1890 Friedrich von Bodelschwingh zum Vorsitzenden der Gesellschaft wird und damit die konkreten Verbindungen zur Kolonialbewegung weniger werden, bleiben die Verflechtungen der Gesellschaft mit dem deutschen Kolonialismus eng. Bodelschwingh, unter dessen Vorsitz es zu einer Zäsur und zu einem Aufschwung in der Geschichte der Gesellschaft kommt,[15] gilt selbst als „großer Befürworter der Kolonialerwerbungen.“[16] Die Vorstellung von der eigenen religiösen und kulturellen Überlegenheit ist weiterhin zentral. Das wird deutlich, wenn Bodelschwingh „die Heiden“ mit Kindern oder mit „den Epileptischen“ vergleicht.[17] Die christliche Mission wird dabei als ein zentraler Faktor in der „Erziehung“ zur vermeintlichen „kulturellen Hebung“ verstanden. Als elementar erweist sich hierfür auch die Arbeit. Bodelschwingh selbst formuliert das wie folgt: „so ist auch für unsere lieben Schwarzen die Arbeit, selbst wenn sie nach irdischem Rechenexempel keinen Gewinn brächte, ein notwendiges Erziehungsmittel, und unsere getauften Christen müssen in diesem Stück allen anderen Eingeborenen weit vorangehen. Christentum und ausdauernder Fleiß müssen ihnen als etwas innig Zusammenhängendes geschildert und Faulheit als Laster vorgestellt werden, das niemals mit einem wahren Christenleben sich vereinigen kann.“[18] Diese Arbeitsdoktrin wird konsequent und auch in Notsituationen durchgesetzt.[19] Es wundert daher nicht, dass auch an die Missionsstationen meist „Arbeitseinrichtungen“ – die „zugleich den Wert [haben] die Schwarzen an eine intensivere Arbeit zu gewöhnen“[20] – oder Plantagen angegliedert sind.[21]

Es wird deutlich, dass die christliche Mission im 19. Jahrhundert oftmals nicht „nur“ eine Christianisierung beabsichtigte, sondern das erklärte Ziel vielmehr einem „umfassenden sozio-ökonomischem Wandel“ gleichkommt.[22] Dafür setzen die Missionsgesellschaften auch auf Kooperationen mit dem Kolonialstaat. Die Missionare fungieren als Übersetzer und Steuereintreiber und die Missionsgesellschaften verlassen sich auf den Schutz durch das koloniale Militär.

Die Missionierung und die beabsichtigte vermeintliche „Erziehung“ durch die unter Bodelschwingh expandierende Missionsgesellschaft bleibt nicht ohne Widerstand. Die Perspektive der afrikanischen Menschen auf die Missionierung darzustellen, ist heute schwer. Doch wird auch in den missionarischen Quellen immer wieder indirekt vom Widerstand berichtet. So heißt es 1902, dass das Christentum auf einer Station mit einem „unglaublich zähen Widerstand eines konservativen Heidentums zu kämpfen“ habe.[23]

Im Jahr 1907 siedelt die Gesellschaft nach Bethel über. Ihr Missionshaus verkauft sie an die Kirchengemeinde. 1919 wird es von der Morgenländischen Frauenmission – der ersten deutschen Frauenmissionsgesellschaft, die zuvor in Moabit wirkte – übernommen.[24] Sie gründet sich schon 1842 als „Frauen-Verein für christliche Bildung des weiblichen Geschlechts im Morgenlande“ und wird zu einer Vorkämpferorganisation der deutschen evangelischen Frauenmission.[25] Die Gründerinnen sind überzeugt, dass „vorzugsweise durch die Bekehrten des weiblichen Geschlechts eine nachhaltige wahrhaftig christliche Bildung unter den nicht christlichen Völkern Asiens verbreitet“ werde.[26] Dafür sendet die Gesellschaft selbstständig und in Kooperation mit anderen Missionsgesellschaften Lehrerinnen und unverheiratete Missionsschwestern aus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden so in Zusammenarbeit mit der Berliner Missionsgesellschaft in Friedrichshain auch Missionsschwestern in die deutsche Kolonie Kiautschou (Jiaozhou) ausgesandt, „um unter dem weiblichen Geschlechte zu arbeiten.“[27] Das Haus in der Finckensteinallee wird ab 1919 als Schwesternheim für Bibelschülerinnen und Missionsschwestern sowie als Bibelschule ein „beständiges Zentrum“ der Arbeit der Mission.[28] Im Zweiten Weltkrieg wird das Haus schwer beschädigt, nach dem Krieg aber wieder aufgebaut und bis 1969 als Ausbildungsstätte für Mädchen und Frauen genutzt. Heute befinden sich in dem Gebäude der Sitz der aus der Morgenländischen Frauenmission hervorgegangenen Stiftung Morgenland sowie das Hotel Morgenland.

provided by Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf

Mirja Memmen

ORT

Zehlendorfer Straße 55

HEUTE

Finckensteinallee

Zitieren des Artikels

Mirja Memmen: Die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/die-evangelische-missionsgesellschaft-fuer-deutsch-ostafrika/ (06.06.2023).

Literatur & Quellen

[1] Ausschuß der deutschen evangelischen Missionen: Die evangelischen Missionen in den Kolonieen und Schutzgebieten, Berlin 1902, S. 83.

[2] Menzel, Gustav: Die Bethel Mission. Aus 100 Jahren Missionsgeschichte, Neukirchen 1986, S. 14.

[3] Kuntze, Bruno: Die Wirtschaftstätigkeit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1887-91 und ihre wichtigsten Voraussetzungen, Jena 1913, S. 49.

[4] Archiv des Heimatvereins Steglitz e.V.

[5] Büttner, Carl Gotthilf: Kolonialpolitik und Christentum betrachtet mit Hinblick auf die deutschen Unternehmungen in Südwestafrika, Heideberg 1885, S. 254.

[6] Voigt, Lisa: Frauen in der deutschen Ostafrika-Mission. Zur Konstruktion von Weißsein und Weiblichsein in der Evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika. Dissertation Freie Universität. Berlin 2011, S. 40. Büttner schrieb den vermeintlich „reibungslosen“ Ablauf der Vertragsunterzeichnung dem Wirken der Missionsgesellschaften zu. Nur mit „Hilfe der Missionare vor Ort“ sei es gelungen „den größten Teil meines Reiseprogramms in wünschenswerter Weise innerhalb so kurzer Zeit auszuführen und eine Fläche von wenigstens 7000 deutschen Quadratmeilen dem deutschen Schutzgebiete in Südafrika zuzufügen.“ Dafür wurde Büttner von der deutschen Regierung mit dem Roten Adlerorden Vierter Klasse geehrt. Nach seiner Tätigkeit bei der Berliner Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika ist Büttners Leben weiterhin mit den kolonialen Strukturen verbunden: Er arbeitet fortan als Lehrer am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen. Außerdem gibt er mehrere Schriften zur Suaheli-Sprache heraus. Seine Arbeit findet große Anerkennung, 1888 verleiht ihm die Universität seiner Heimatstadt Königsberg die Ehrendoktorwürde. Büttner stirbt 1893 an der Grippe. Sein Grab auf einem Friedhof in Steglitz ist nicht erhalten (Deutsches Historisches Museum: Afrika in Berlin – ein Stadtspaziergang des Deutschen Historischen Museums, URL: https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/namibia/stadtspaziergang/startseite.htm (zuletzt abgerufen 5.1.2022, S. 2-4).

[7] Menzel 1986: S. 14.

[8] Bückendorf, Jutta: „Schwarz-weiss-rot über Ostafrika!“ Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität, Münster 1997, S. 20.

[9] Die Missionare wurden zunächst durch die Berliner Missionsgesellschaft ausgebildet. Später gab es Pläne zur Vereinigung beider Gesellschaften, die aber scheiterten. Einige Missionsstationen wurden von der Berliner Missionsgesellschaft übernommen (Hamilton, Majida: Mission im kolonialen Umfeld. Deutsche protestantische Missionsgesellschaften in Deutsch-Ostafrika, Göttingen 2009, S. 78ff).

[10] Carl Peters wurde dabei aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Zuvor waren schon Frieda von Bülow, die heute als bekannteste deutsche Kolonialistin und Begründerin des deutschsprachigen Kolonialromans gilt, und Martha von Pfeil aus dem Vorstand ausgetreten. Es hatte Konflikte über die Gewichtung der Krankenpflege innerhalb der Gesellschaft gegeben. In der Folge gründen Pfeil und Bülow den „Deutsch-nationalen Frauenbund zur Krankenpflege in den Kolonien“ (Voigt 2011: S.39,42), der sich – laut den Nachrichten aus der Ostafrikanischen Mission – vor allem die „Pflege des Deutschthums in unseren Kolonien“ zur besonderen Aufgabe gemacht hätte (Nachrichten aus der Ostafrikanischen Mission Jg. 1 Nr. 3 (1887), S. 36-37).

[11] Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils.“ Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884-1918, Münster 2003. Anhang, S.247.

[12] Bückendorf 1997: S. 322.

[13] Menzel 1986: S. 25.

[14] Deutsches Historisches Museum 2005: S. 4.

[15] Altena, Thorsten: Grenzüberschreitungen. Zum Beziehungsgeflecht von Innerer und Äußerer Mission in den Anfangsjahren der Bethel-Mission, in: Benand, Matthias / von Bülow, Vicco: Bethels Mission. Mutterhaus, Mission und Pflege, Bielefeld 2003, S. 152.

[16] Altena 2003b: S. 151. Im Gegensatz zu dem vorherigen Profil habe er aber die explizit nationalistische Mission abgelehnt.

[17] Altena 2003b: S. 163 / Altena 2003a: S. 165.

[18] Altena 2003a: S. 165.

[19] Altena 2003a: S. 165.

[20] Ausschuß 1902: S. 80.

[21] Ausschuß 1902: S.80,84. 1910 gliedert Bodelschwingh der Missionsgesellschaft eine „Deutsch-Ostafrikanische Missions-Handlungs-Gesellschaft m.b.H. an (Gründer, Horst: Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884-1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, S. 38).

[22] Bückendorf 1997: S. 269-270.

[23] Ausschuß 1902: S. 80.

[24] Otto, Christa: Von Frauen – durch Frauen . für Frauen. 1842-1992. 150 Jahre Morgenländische Frauenmission, Berlin 1992, S. 8,10.

[25] Otto 1992: S. 6.

[26] Otto 1992: S. 2.

[27] Ausschuß 1902: S. 100 / Chun Shik, Kim: Deutscher Kulturimperialismus in China. Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898-1914, Stuttgart 2004, S. 190.

[28] Otto 1992: S. 10.

Tags

Download PDF