Die Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten

Im Jahr 1903 erwirbt die Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten ein Haus in der Filandastraße 4 in Steglitz. Dieses Haus wird fortan zu einem zentralen Ort der Missionsgesellschaft: Hier sollen sich die hinausziehenden und die heimkehrenden Missionare aufhalten können sowie die Kinder der Missionare untergebracht werden. Auch das Büro der Gesellschaft und die Wohnung des Missionsinspektors befinden sich in dem Gebäude.[1] Im Jahr 1903 sind 15 Missionare der Gesellschaft und 43 „afrikanische Gehilfen“ auf fünf Haupt- und 40 Nebenstationen in der damaligen Kolonie Kamerun tätig.[2] Auch die Geschichte der Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten ist eng mit der kolonialen Expansion des Deutschen Reichs verbunden.

Zum Zeitpunkt des Kaufs des Gebäudes in der Filandastraße besteht die Missionsgesellschaft schon seit fast 15 Jahren und war bis dahin in unterschiedlichen Teilen des heutigen Berlins tätig.

Im Jahr 1889 und damit fünf Jahre nachdem Kamerun als deutsche Kolonie gewaltsam unterworfen wird, gründet der Prediger Eduard Scheve zunächst das Missionskomitee für Kamerun. Das Komitee soll die, vor allem von englischen Baptisten gegründeten, Gemeinden durch das Aussenden von „Material für Schulen, Gemeinde, Mission und für die Handwerker“ unterstützen.[3] Knapp neun Jahre später wird aus diesem Komitee die Missionsgesellschaft, die den ersten Missionar 1891 nach Kamerun aussendet. In den Satzungen der Gesellschaft heißt es, dass sie „den Zweck verfolgt, Missionare in die deutschen Kolonien zu senden, um den Eingeborenen das Evangelium zu predigen, sie zu unterrichten und aus ihrer Mitte Prediger und Lehrer heranzubilden.“[4]

Im Jahr 1893 beginnt die Gesellschaft, und vor allem Eduard Scheve, damit „afrikanische Kinder nach Berlin kommen zu lassen.“[5] Sie sollen in Berlin ausgebildet werden – primär um später als Lehrer*innen oder Gehilf*innen in den Missionsschulen in Kamerun zu arbeiten.[6] Die Kameruner*innnen kommen dabei unter unterschiedlichen Bedingungen nach Berlin und bleiben unterschiedlich lange.[7] Während die Jungen direkt bei Scheve wohnen, der zu diesem Zeitpunkt in der Gubener Straße 11 in Friedrichshain lebt, werden die Mädchen in dem Diakonissenhaus Bethel untergebracht, das sich ebenfalls in Friedrichshain befindet.[8]

Einer der ersten sogenannten „Kamerun-Zöglinge“ ist der junge Kameruner Richard Edube Mbene, der 1893 von einem Missionar nach Berlin geschickt wird.[9] Nach seiner Ausbildung bei Eduard Scheve geht er 1897 zurück nach Kamerun und arbeitet dort als Missionslehrer. Das Tagebuch von Richard Edube Mbene, das überliefert ist, ermöglicht einen seltenen Einblick in die Perspektive der kolonisierten und missionierten Bevölkerung. Mbene kritisiert die deutsche Kolonialpolitik und thematisiert in seinem Tagebuch seine rassistischen Erfahrungen – auch im Umkreis seiner Missionarskolleg*innen. Auf der einen Seite prangert er ihre mangelnde Pädagogik sowie die Art der Kirchenzucht und der öffentlichen Beichte an, die er nicht in Einklang mit seiner Vorstellung einer christlichen Gemeinde bringen kann.[10] Auch die fehlende Bereitschaft einzelner Missionare sich auf die Duala Sprache einzulassen bemängelt Mbene. So schreibt er in seinem Tagebuch: „Wie sollen die Seelen für Christum gewonnen werden, wenn Christi gepredigt wird in Worten, die sich nicht einmal rein sprachlich kapieren.“[11]  Auf der anderen Seite kritisiert er auch die Kameruner*innen und spricht in seinem Tagebuch davon, dass das Gesamtergebnis seiner Beobachtungen „kein günstiges Urteil (…) über den geistigen und moralischen Stand der Mehrheit meiner Landsleute“ zulasse.[12] Seine eigene Position beschreibt er so als „Zwitterstellung“ zwischen der Kritik an den Missständen der deutschen Kolonialpolitik und der Nähe zur Protestbewegung der Dualas auf der einen Seite und der Überzeugung der deutschen baptistischen Mission auf der anderen Seite.[13] Im Jahr 1903 kehrt Mbene aufgrund einer Krankheit für fast ein Jahr nach Berlin zurück, bevor er ab 1904 erneut als Missionslehrer arbeitet. 1907 stirbt er bei einem Bootsunglück in Kamerun.[14]

Tatsächlich wird Eduard Scheves Haus in Berlin zu einem Ort mit dem kamerunische Baptisten oder ihnen nahestehende Personen eng verbunden sind.[15] Im Jahr 1902, und damit zu dem Zeitpunkt als Eduard Scheve in der Emdener Straße 15 im heutigen Bezirk Moabit lebt[16], wird er auch von der Bell-Delegation aus Kamerun besucht, die eine wichtige Rolle im Protest gegen die deutsche Kolonialherrschaft spielt. Die Delegation ist in diesem Jahr in Berlin, um dem Kaiser eine Petition zu überbringen, in der die Familie das „willkürliche Vorgehen von Beamten, Soldaten, Expeditionen und Faktoreien“ in Kamerun anklagt.[17] August Manga Bell/Manga Ndumbe bedankt sich nach seinem Aufenthalt mit einem Eintrag in Scheves Gästebuch, in welchem er Scheve als einen Mann bezeichnet, der mit seinem Herzen zu den Afrikaner*innen stehen würde.[18] Der Sohn August Manga Bells – Richard Din –, der damals noch ein Kind ist, bleibt nach der Delegationsreise bei Scheve in Moabit. Nach dem Erreichen der Obersekundarreife auf dem Königlichen Luisengymnasium in Moabit macht er 1912 eine Ausbildung zum Holzkaufmann bei der Firma Julius Aßmann & Co. in Groß-Lichterfelde.[19] Als in der Deutschen Kolonialzeitung rassistisch kommentiert wird, dass er in dieser Position weißen Menschen vorgesetzt sei, setzt er sich im Groß-Lichterfelder Lokalanzeiger offen gegen den artikulierten Rassismus zur Wehr.[20]

Zu diesem Zeitpunkt ist Eduard Scheve nicht mehr der Vorsitzende der Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten. Schon zu Beginn des Jahres 1901 wird die Missionsleitung von dem bisherigen Vorstandsmitglied Karl Mascher übernommen, unter dessen Vorsitz sich die Missionsgesellschaft ausdehnt und später auch das Haus in Steglitz gekauft wird.[21]

Die guten Kontakte Scheves sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten früh mit den kolonialen Strukturen verflochten ist. So ist die Gesellschaft um ein „gutes und einvernehmliches Verhältnis zur Kolonialregierung“ bemüht. Sowohl auf der Seite der Missionsgesellschaft als auch in Regierungskreisen herrscht „die Einsicht, dass sich die Kolonialbehörde und die Mission wechselseitig in ihrem Anliegen unterstützen“ würden.[22] In Berlin fördert die Gesellschaft das Kolonialmuseum und die Kolonialkongresse und wirkt im „kolonialwirtschaftlichen Komitee“ mit, das als Zweck die „Nutzbarmachung“ der Kolonien durch wirtschaftliche Unternehmungen hat.[23] Die gleiche Kooperation gibt es auch in der Kolonie. 1906 gründet die Gesellschaft das „Handelshaus Duala G.m.b.H.“[24], das mit Kolonialprodukten handelt und dessen Adresse ebenfalls in der Filandastraße angegeben wird. In der Zeitschrift wird von einem „doppelten Zweck“ gesprochen, der durch die „industriellen Unternehmungen“ der Mission verfolgt werde. Zum einen käme der „ganze Reingewinn der Kamerunmission allein zugute“ und zum anderen gehe es darum, „den Eingeborenen den Segen der Arbeit“ zu geben, damit sie später „selbstständig Mission treiben“ könnten.[25]Tatsächlich aber ist der Alltag in der Kolonie von Ausbeutung und Zwangsarbeit der kolonisierten Menschen geprägt. Dass die Arbeit der kolonisierten Menschen dabei etwas ist, von dem die Europäer*innen profitieren sollen, wird deutlich, wenn es um den Anbau rund um die Missionsschule in Soppo geht. So heißt es: „Auf dem Gartenterrain rund um das Haus werden europäische Gemüse gut gedeihen und dadurch nicht nur die bessere Ernährung der Europäer gesichert sein, sondern auch den Afrikanern Gelegenheit zu lohnender körperlicher Arbeit geboten werden.“[26] Und auch ein Missionar selbst bezeichnet „[d]ie Willigkeit, zu arbeiten, verglichen mit der allgemeinen Arbeitsscheu vor drei Jahren“ auf der Station Nnamtan als einen „heilsamen Einfluß der Mission auf die Kultur des Landes“.[27]

Sehr deutlich wird in einem Artikel in „Unsere Heidenmission“, der Zeitschrift der Missionsgesellschaft, auch die Verflechtung zwischen Wissenschaft, Mission und Kolonialstaat. Die „Erforschung Afrikas“ wird als eine „Vorbedingung“ zur Mission bezeichnet[28] und die gewaltsame Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents unter den Kolonialstaaten begrüßt: „Das bringt eine große Erleichterung für die Missionsgesellschaften, wenn sie unter dem Schutze geordneter Verhältnisse die Friedensbotschaft verkündigen dürfen.“[29] Doch auch andersherum könne die Regierung von der Arbeit der Missionsgesellschaft profitieren, wie es Missionar Hofmeister schildert: „Wo die Mission ungestört ihre Arbeit tun kann, gibt es sicher keinen Aufstand, denn das Bestreben der Mission geht doch auch dahin, aus den Eingeborenen gesittete Menschen und gute Untertanen zu machen.“[30]

Hierfür sind in den Kolonien die Missionsstationen zentral. Hier werden neben den Arbeitseinrichtungen auch Schulen aufgebaut, in denen die kolonisierten Menschen unterrichtet werden. Auf den Missionsstationen wird tief in soziale Gefüge eingegriffen und indigene Lebensweisen und vor allem Religionen als Heidentum „mit seinen Götzen, seinen unsittlichen Festen und seinem furchtbaren Aberglauben“ verurteilt.[31]

Auch die Mission der deutschen Baptisten gründet auf der Idee der europäischen Überlegenheit und propagiert kolonialrassistische Ideen. So heißt es in der Zeitschrift: „Die Bewohner der großen, schwarzen Fläche sind entweder dem Fetischdienst ergeben oder stehen unter dem verderblichen Einfluß des Islam. Nirgends finden wir so geistig heruntergekommene Massen wie in Afrika. Und doch sind sie zumeist warmherzige, zutrauliche Stämme, fähig, die erhabendsten Gedanken des Christentums zu erfassen und sie in kindlicher, einfacher Weise auszuleben.“[32]

Nach zehn Jahren in Steglitz, kauft die Gesellschaft 1911 ein Grundstück in Neuruppin. Nach der letzten Aussendungsfeier von „13 Missionsgeschwistern für Kamerun“ in Steglitz im März 1914 verlässt die Missionsgesellschaft das Gebäude in der Filandastraße und zieht nach Neuruppin um.[33]

provided by Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf

Mirja Memmen

ORT

Filandastraße 4

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Zitieren des Artikels

Mirja Memmen: Die Missionsgesellschaft der deutschen Baptisten. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/die-missionsgesellschaft-der-deutschen-baptisten/ (06.06.2023).

Literatur & Quellen

[1] Unsere Heidenmission, Jg. 2 Nr. 11 (1903), S. 83. / Außerdem wurde eine Schwesternschule „aus der mehrere Missionarinnen hervorgingen, frei angegliedert.“ (Scheve, Alfred: Die Mission der deutschen Baptisten in Kamerun, Neuruppin 1917, S. 17).

[2] Unsere Heidenmission, Jg. 2 Nr. 11 (1903), Deckblatt.

[3] Jubiläums-Garbe: Blüthen und Früchte aus Kamerun West Afrika, 1894, S. 10.

[4] Blüthen und Früchte Jg. 7 Nr. 1 (1898), S. 17.

[5] Scheve 1917: S. 9.

[6] Aitken, Robbie / Rosenhaft, Eve: Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community 1886-1960, Cambridge 2013, S. 47.

[7] Aitken/Rosenhaft 2013: S. 47.

[8] Scheve 1917: S. 9. Das Diakonissenhaus Bethel wurde 1887 von Eduard Scheve und seiner Ehefrau Berta in Friedrichshain gegründet. 1899 zieht es nach Moabit und 1932 dann nach Dahlem (Fünfzig Jahre Diakonissen-Mutterhaus „Bethel“ Berlin 1887-1937, Kassel 1937).

[9] Eduard Scheve kommentiert dies wie folgt: „Br. Steffens sandte uns auf Gerathewohl den Richard, weil er ihn so sehr liebte und es gerne sah, daß er einen gründlichen Unterricht erhielt.“ (Kißkalt, Michael: Das Tagebuch des Richard Edube Mbene und sein missionshistorischer Kontext, Stuttgart 2015, S. 96).

[10] Kißkalt 2015: S. 255.

[11] Kißkalt 2015: S. 255.

[12] Kißkalt 2015: S. 252.

[13] Kißkalt 2015: S. 110.

[14] Kißkalt 2015: S. 98.

[15] So verbringen auch Teilnehmer der Ersten Kolonialausstellung im heutigen Bezirk Treptow 1896 eine Zeit in Scheves Haus (Aitken/Rosenhaft 2013: S. 45).

[16] Eduard Scheve lebt ab 1900 in Moabit (Aitken/Rosenhaft 2013: S. 45).

[17] Eyoum, Jean-Pierre Félix / Michels, Stefanie / Zeller, Joachim: Bonamanga. Eine kosmopolitische Familiengeschichte, in: Mont Cameroun – afrikanische Zeitschrift für interkulturelle Studien zum deutschsprachigen Raum, Nr. 2, 2005, S. 8 / Aitken/Rosenhaft 2013: S. 45.

[18] Aitken/Rosenhaft 2013: S. 45.

[19] Eyoum/Michels/Zeller 2005: S. 17 / Aitken/Rosenhaft 2013: S. 45.

[20] Diallo, Oumar / Zeller, Joachim: Black Berlin. Die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte in Gegenwart, Berlin 2013, S. 50 / Deutsche Kolonialzeitung Jg. 29 Nr. 38 (1912), S. 647-648 / Groß Lichterfelder Lokal Anzeiger, Nr. 210 (1912), S. 3.

[21] Scheve 1917: S. 13 / Oehler: Oehler, Wilhelm: Geschichte der Deutschen Evangelischen Mission, Baden-Baden 1951, S. 123.

[22] Kißkalt 2015: S. 55-56.

[23] Kißkalt 2015: S. 55-56. Zentral sei auch die „gesellschaftspolitische Anerkennung im Rahmen des kolonialen Bemühens der Regierung“ gewesen, über die sich aufgeschlossene Personen innerhalb der ansonsten unbedeutenden Minderheit der Baptisten freuten (Kißkalt 2015: S. 55-56).

[24] Kißkalt 2015: S. 58. Das „ökonomische Engagement“ der Missionsgesellschaft beginnt schon 1899 und finanziert fortan teilweise die Mission. Besonders die Missionskaufleute und auch die Missionare sind dabei eng in die ökonomischen Strukturen in der Kolonie verwoben. So arbeiten auch Missionare, die erst für das Handelshaus arbeiteten, später z.B. für Bergwerggesellschaften (Kißkalt 2015: S. 57-58).

[25] Unsere Heidenmission, Jg. 8 Nr. 7 (1909), S. 49.

[26] Blüthen und Früchte, Jg. 7 Nr. 12 (1900), S. 10.

[27] Scheve, Eduard: Die Mission der Baptisten in Kamerun (West-Afrika) von 1884-1901, Kassel 1901, S. 84.

[28] Unsere Heidenmission, Jg. 6 Nr. 9 (1907), S. 66.

[29] Unsere Heidenmission, Jg. 6 Nr. 9 (1907), S. 70.

[30] Zitat geht wie folgt weiter: „Auch mit Bezug auf die Volkshygiene ist die Mission der Regierung eine unentbehrliche Handlangerin“ (Zitat von Hofmeister, zitiert nach Kißkalt 2015: S. 56).

[31] Blüthen und Früchte, Jg. 7 Nr. 12 (1900), S. 8.

[32] Unsere Heidenmission, Jg. 6 Nr. 9 (1907), S. 68.

[33] Kißkalt 2015: S. 55 / Scheve 1917: S. 17-18. Nach zahlreichen Umbrüchen bestehen die baptistischen Gemeinden heute als Teil des „Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden“. Die Mission ist bis heute ein Arbeitsfeld (BEFG: Geschichte. Baptisten, Brüder und die Entstehung des BEFG, URL: https://www.befg.de/der-befg/wir-ueber-uns/geschichte/#c2616 (zuletzt abgerufen 1.03.2022).

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