Hermann Bötzow in „Deutsch-Ostafrika“
Im Januar 1903 reiste Hermann Bötzow (1879–1945) mit dem Schiff von Hamburg aus in die damalige deutsche Kolonie „Deutsch-Ostafrika“.[i] Hermann Bötzow war 23 Jahre alt und unverheiratet, er nannte sich selbst „Rentier“. Er stammte aus der alteingesessenen und schwerreichen Land- und Brauereibesitzerfamilie Bötzow.[ii]
Plantagenbesitzer
Bereits kurz nach seiner Ankunft in „Deutsch-Ostafrika“ wurde Hermann Bötzow Miteigentümer der Kaffeeplantage Baga im damaligen Bezirk Wilhelmstal, heute Lushoto, in den westlichen Usambarabergen.[iii] „Deutsch-Ostafrika“ war 1885 nach der sogenannten „Afrika-Konferenz“ (auch „Berliner Konferenz“), die ohne Beteiligung afrikanischer Herrscher stattfand, zur deutschen Kolonie erklärt worden. Europäer*innen, die hier siedeln wollten, kauften entweder Plantagen anderer europäischer Farmer oder sogenanntes „Kronland“, also Land, das von den kolonialen Verwaltungsbehörden als „herrenlos“ eingestuft wurde. Selbstverständlich waren die Usambaraberge weder unbesiedelt noch „herrenlos“. Die Berge waren vielmehr bereits Jahrtausende vor der deutschen Herrschaft bewohnt – auch wenn man aus den Quellen deutscher Kolonialist*innen nichts über die Geschichte dieser Menschen erfährt.
Für deutsche Siedler*innen waren die Usambaraberge besonders attraktiv: Die Böden schienen fruchtbar, Niederschläge fielen reichlich, das Klima war für Europäer*innen vergleichsweise angenehm und die Gefahr, an Malaria zu erkranken, war in den höher gelegenen Bergregionen wesentlich geringer als in Ebenen und Flusslandschaften. Von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung war außerdem der Bau einer Eisenbahnlinie entlang des Gebirgszugs.
Im späten 19. Jahrhundert lebten im zentralen Hochland der westlichen Usambaraberge die Mbugu. Die waldreichen Hochebenen waren ideal für ihre Viehhaltung. Die Mbugu standen in engem Austausch mit ihren Nachbarn, den Shambaa (auch Sambaa), die vor allem an den etwas tiefer gelegenen Hängen und am Rand der Usambaraberge als Bauern und Viehzüchter lebten.[iv] Für die Menschen in den Bergen bedeutete die zunehmende Landnahme durch europäische Plantagenbesitzer nicht nur den Verlust von Land, sondern auch den Zwang, sich auf den neu entstehenden Plantagen als Lohnarbeiter verdingen zu müssen. Diese Arbeit war wenig attraktiv, außerdem galten die Plantagenbesitzer als ausgesprochen brutale „Arbeitgeber“. Außerdem stellten sowohl der Islam als auch das Christentum durch ihr Werben um Anhänger traditionelle Wertesysteme und religiöse Überzeugungen infrage. Die deutsche Kolonialherrschaft griff also massiv in die Wirtschaft, die Kultur und den Alltag der einheimischen Bevölkerung ein.
Auch wenn es in den Usambarabergen nicht zu einem offenen gewaltsamen Konflikt bei der Landnahme der Deutschen kam, reagierte die lokale Bevölkerung widerständig auf die neuen Machtstrukturen. 1907 führten die Behörden im damaligen Bezirk Wilhelmstal sogenannte Arbeitskarten ein, die jeden erwachsenen Mann zwangen, eine festgeschriebene Anzahl von Tagen gegen Lohn auf dem Land eines Plantagenbesitzers zu arbeiten. Wer sich weigerte, konnte ohne entlohnt zu werden zu Arbeiten für die Kolonialregierung herangezogen werden. Viele Shambaa widersetzten sich dem Arbeitskartensystem, indem sie etwa an den erzwungenen Arbeitstagen besonders langsam arbeiteten, Unterschriften für vermeintlich geleistete Arbeitstage fälschten oder Sonderabmachungen mit Arbeitgebern trafen.[v]
Wie viele andere Plantagenbesitzer baute Hermann Bötzow zunächst Kaffee an. Als der Weltmarktpreis von Kaffee fiel und Kautschuk ein immer begehrterer Rohstoff in Europa wurde, stieg Bötzow in die Kautschukproduktion ein und kaufte weitere Ländereien im Norden Tansanias.[vi]
Über die konkreten Bedingungen und den Alltag auf seinen Plantagen wissen wir nur sehr wenig, denn Hermann Bötzow selbst hinterließ kaum schriftliche Quellen. Wir kennen also seine Einstellungen nicht aus erster Hand.[vii] Viele schriftliche Quellen hinterließen jedoch seine Nachbarn, die Plantagenbesitzer Tom Prince (später von Prince) (1866–1914) und Magdalene Prince (1870–1935). Aus den Memoiren von Magdalena Prince und den überlieferten Akten sprechen tiefe Verachtung gegenüber der einheimischen Bevölkerung, Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen und dem Landbesitz der Afrikaner*innen und Anmaßung gegenüber der deutschen Verwaltung vor Ort, deren Politik die Familie Prince als zu freundlich der einheimischen Bevölkerung gegenüber kritisierte. Diese Haltung war unter europäischen Siedlern und Plantagenbesitzern in deutschen Kolonien nicht untypisch.[viii]
Großwildjäger
Neben dem Anbau von Kaffee und Kautschuk blieb Hermann Bötzow Zeit, um auf Safari zu gehen. Er war mit seinem Hobby keineswegs allein. Die Großwildjagd übte einen außerordentlichen Reiz auf europäische Einwanderer aus. Bei der Jagd wollten sich (überwiegend) Männer in der „Wildnis“ beweisen; sie wollten Mut, Ausdauer und Sportlichkeit demonstrieren. Ausgestattet mit einem modischen Safari-Outfit nach den sogenannten „Big Five“ Afrikas zu suchen – gemeint waren Büffel, Elefant, Nashorn, Löwe und Leopard –, war ein teures und zunehmend ritualisiertes Freizeitvergnügen europäischer Siedler und Reisender.[ix]
Eine Safari war vor allem eine Trophäenjagd. Es ging darum, die erlegten Tiere zu präparieren oder zumindest Teile der Tiere, zum Beispiel Hörner oder Geweihe, aufzubewahren und auszustellen. Auch Hermann Bötzow legte sich aus „Freude an der Jagd“, wie die Familienchronik behauptete, eine „große Trophäensammlung“ an, insbesondere besaß er eine „geliebte Elfenbeinsammlung“.[x]
Hermann Bötzow lebte offensichtlich allein auf seinen Plantagen. Jedenfalls heiratete er nicht, solange er in Afrika wohnte. Dabei gab es durchaus Frauen, die sich ein Leben in den deutschen Kolonien erträumten. Sie organisierten sich in kolonialen Frauenvereinen, ließen sich in speziellen Lehrgängen für ein Leben in den „Tropen“ ausbilden und beteiligten sich an kolonialpolitischen Debatten.[xi]
Zurück in Berlin
Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs kehrte Hermann Bötzow nach Deutschland zurück. Zwei Erklärungen erscheinen plausibel: Entweder ruinierte ihn der Zusammenbruch des Kautschukmarktes 1913 bei dem viele Plantagenbesitzer viel Geld verloren. Oder er reiste wegen des Todes seines Vaters im Juli 1914 nach Berlin und kehrte aufgrund des kurz darauf beginnenden Ersten Weltkriegs nicht wieder nach Afrika zurück.
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde das ehemalige „Deutsch-Ostafrika“ größtenteils britisches Mandatsgebiet.[xii] Aus dem deutschen Kolonialfarmer Hermann Bötzow wurde nun ein ostelbischer Junker: Er übernahm die Verwaltung der familieneigenen Güter circa 30 Kilometer östlich von Frankfurt (Oder). Außerdem arbeitete er in der Bötzow‘schen Brauerei, die nach dem Tod des Vaters sein älterer Bruder Julius Bötzow leitete.
Im Jahr 1922 heirateten Hermann Bötzow und die deutlich jüngere Ruth Lademann (1901–1945). 1926 kam ihr Sohn Klaus York Bötzow (1926–?) zur Welt. Als 1926 Hermann Bötzows älterer Bruder Julius Bötzow überraschend starb, übernahm er die Leitung der Brauerei und zog mit seiner Familie in eine Villa auf dem Brauereigelände an der Prenzlauer Allee.
Das Ehepaar Bötzow bekannte sich zum Nationalsozialismus. Hermann und Ruth Bötzow traten im Frühjahr 1940 in die NSDAP ein.[xiii] Am 25. April 1945 erschoss sich Hermann Bötzow in seiner Brauerei in der Prenzlauer Allee aus Angst vor der heranrückenden Roten Armee. Am folgenden Tag beging auch Ruth Bötzow Suizid. Ihr verwundeter Sohn York Bötzow wurde zu jener Zeit in einem Lazarett behandelt.[xiv] Nach der Teilung Berlins befand sich die Bötzow-Brauerei im Ostteil der Stadt. Sie wurde nur noch wenige Jahre lang als Volkseigener Betrieb weitergeführt, bevor die Produktion um 1950 eingestellt wurde.
Johanna Niedbalski
ORT
Prenzlauer Allee 242HEUTE
Zitieren des Artikels
Johanna Niedbalski: Hermann Bötzow in „Deutsch-Ostafrika“. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/hermann-boetzow-in-deutsch-ostafrika/ (24.10.2024).
Literatur & Quellen
[i] Dies ist die stark gekürzte Fassung eines längeren Aufsatzes über Hermann Bötzow, der erschienen ist in: Bernt Roder (Hg.), (De)Koloniale Spuren in Pankow, Berlin 2004, S. 65-78. Dieser gedruckte Aufsatz enthält weitere biografische Details, historische Einordnungen und ausführliche Literatur- und Quellenangaben.
[ii] Zur Familiengeschichte der Bötzows vgl. die von der Familie herausgegebene Chronik Martin Albrecht, Die Bötzow. Bürger, Brenner, Brauherren. Stationen einer Berliner Familie, Emtmannsberg 2008.
[iii] Zum Landbesitz Hermann Bötzows vgl. etwa Berichte über Land- und Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika vom Kaiserlichen Gouvernement von Deutsch-Ostafrika Dar-es-Salâm, Bd. 2, Heidelberg 1904–1906. Vgl. auch Angaben in verschiedenen Ausgaben von: Deutsches Kolonial-Handbuch. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Berlin 1908–1913; Kolonial-Handels-Adressbuch, hrsg. vom Kolonial-Wirtschaftlichen Komitee, Wirtschaftlicher Ausschuß der Deutschen Kolonialgesellschaft, Berlin 1907-14.
[iv] Vgl. zur Geschichte Tansanias etwa Steven Feierman, The Shambaa Kingdom. A History, Madison 1974; John Iliffe, A Modern History of Tanganyika, Cambridge 1979; Steven Feierman, Peasant Intellectuals. Anthropology and History in Tanzania, Madison 1990; Helmut Bley, Afrika. Welten und Geschichten aus dreihundert Jahren, Berlin, Boston 2021.
[v] Vgl. Illife, A Modern History, S. 151ff.
[vi] Siehe FN 3.
[vii] Akten zu den Besitzungen Bötzows im heutigen Tansania befinden sich im Nationalarchiv in Daressalam und konnten leider im Rahmen dieser Recherchen nicht eingesehen werden.
[viii] Vgl. Magdalene Prince, Eine deutsche Frau im Innern Deutsch-Ostafrikas. Elf Jahre nach Tagebuchblättern erzählt, Berlin 1908. Zur Familie Prince vgl. auch Martin Baer, Olaf Schröter, Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika. Spuren kolonialer Herrschaft, Berlin 2001, S. 103ff; Detlef Bald, Deutsch-Ostafrika 1900–1914. Eine Studie über Verwaltung, Interessengruppen und wirtschaftliche Erschließung, München 1970, S. 60.
[ix] Vgl. Bernhard Gissibl, The Conservation of Luxury. Safari Hunting and the Consumption of Wildlife in Twentieth-Century East Africa, in: Bernd-Stefan Grewe, Karin Hofmeester (Hg.), Luxury in Global Perspective. Objects and Practices, 1600–2000, Freiburg 2016, S. 263ff.
[x] Albrecht, Die Bötzow, S. 75f.
[xi] Vgl. etwa Marianne Bechhaus-Gerst, Mechthild Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009; Lora Wildenthal, German Women for Empire, 1884–1945, Durham u. a. 2001; Katharina Walgenbach, „Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“. Koloniale Diskurse über Geschlecht, „Rasse“ und Klasse im Kaiserreich, Frankfurt am Main 2005.
[xii] Das heutige Ruanda und Burundi wurde eine belgische Kolonie.
[xiii] Vgl. BArch NSDAP-Mitgliederkartei.
[xiv] Vgl. Albrecht, Die Bötzow, S. 89.