Mtoro Bakari in Kreuzberg

Mtoro Bakari kam im Juni 1900 aus der Kolonie Deutsch-Ostafrika nach Berlin, um am Seminar für Orientalische Sprachen Swahili zu unterrichten. Bis Ende 1901 wohnte er zusammen mit seinem Vorgesetzten Carl Velten in der Markgrafenstraße 78 in Kreuzberg. Als Muttersprachler trug er wesentlich zu dessen wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Swahili bei. Nach seiner Entlassung im Jahr 1905 verdiente Mtoro Bakari seinen Lebensunterhalt durch Sprachunterricht und Vorträge bei der evangelischen Mission in Berlin. Im Sommersemester 1909 war er der erste Sprachlehrer, der eine afrikanische Sprache am kurz zuvor gegründeten Hamburgischen Kolonialinstitut unterrichtete. Als er dort Ende 1913 erneut entlassen wurde, kehrte er nach Berlin zurück. Von dort reiste er an verschiedene Orte, um Vorträge über Ostafrika zu halten. Bis zu seinem Tod im November 1927 wohnte er in der Lichtenrader Straße 40 in Neukölln. Als Muslim wurde er vermutlich auf dem Türkischen Friedhof (Şehitlik Friedhof) am heutigen Columbiadamm begraben.[1]

Swahili war die wichtigste der afrikanischen Sprachen, die am Seminar für Orientalische Sprachen unterrichtet wurden. Bereits im 19. Jahrhundert war es von der ostafrikanischen Küste aus bis weit ins Binnenland gelangt. Ab den 1880er Jahren diente es als Kommunikationsmittel auf der unteren und mittleren Ebene des deutschen Kolonialregimes und wurde so systematisch in der gesamten Kolonie verbreitet. Die deutsche Kolonialherrschaft legte somit den Grundstein für die Entwicklung des in lateinischer Schrift geschriebenen Swahili. Während der britischen Kolonialzeit wurde die Sprache weiter standardisiert und schließlich in Tansania als Nationalsprache übernommen.

Bekannt wurde Mtoro Bakari vor allem als Hauptautor der „Sitten und Gebräuche der Suaheli“. Zuvor hatte er zwei Beiträge für eine Sammlung von swahilisprachigen Reiseschilderungen verfasst, in denen er über die Geschichte und Kultur der Doe und Zaramo berichtete. Diese Arbeiten erschienen unter dem Namen seines damaligen Vorgesetzten Carl Velten, der die von ihm zusammengetragenen Texte aus der arabischen in die lateinische Schrift übertrug, sie ins Deutsche übersetzte und sie gleichzeitig in Swahili und Deutsch herausgab.[2] Erst in jüngerer Zeit erschien eine gekürzte und kommentierte englische Edition der „Customs of the Swahili People“.[3] In der Folge wurde dieser Text als die erste ausführliche Darstellung der Swahili-Kultur des 19. Jahrhunderts durch einen einheimischen Autoren interpretiert. Das Maß an Authentizität, das man dem Text damit zumaß, relativiert sich allerdings dadurch, dass er erst unmittelbar zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, und zwar in Berlin, wo Mtoro Bakari ihn im Auftrag seines Vorgesetzten verfasste. Deshalb sind die Anteile kaum genau zu bestimmen, die beide am Originaltext und der deutschen Übersetzung des Hauptteils der „Sitten und Gebräuche“ hatten.

Veltens Absicht war es, über die von europäischen Beobachtern verfassten Beschreibungen der Swahili-Gesellschaft hinauszugehen, indem er Autoren heranzog, die selbst an der ostafrikanischen Küste aufgewachsen waren und die dortigen Verhältnisse aus eigener Erfahrung kannten. Er veröffentlichte ihre Texte in der Originalsprache, um sowohl ihren sprachlichen Ausdruck als auch ihr Denken authentisch zu dokumentieren. Das hatte nicht nur akademische Bedeutung. Die Aufgabe der Dozenten am Seminar für orientalische Sprachen bestand im Wesentlichen darin, deutschen Militärangehörigen, Kolonialbeamten, Privatpersonen und Missionaren sprachliche Kompetenzen für ihre Tätigkeiten in den deutschen Kolonien zu vermitteln. Durch seine Lehrtätigkeit trug Mtoro Bakari mit dazu bei. Generell übernahmen die deutschen Dozenten den Hauptkurs in Swahili, der hauptsächlich in der Erklärung der grammatischen Struktur sowie anderen generellen Erläuterungen bestand. Die eigentliche Sprachvermittlung fand überwiegend in den „Übungen“ der einheimischen „Lektoren“ (in Berlin) bzw. „Sprachgehilfen“ (in Hamburg) statt.

Neben seiner Tätigkeit als Autor und Dozent leistete Mtoro Bakari wichtige Beiträge zur wissenschaftlichen Arbeit seiner deutschen Kollegen. In Hamburg stand er beispielsweise dem bekannten Islamkundler Carl Heinrich Becker als Informant bei dessen Forschung zum Islam in Ostafrika zur Verfügung. Eine besondere Rolle spielte seine Tätigkeit für Carl Meinhof, dem Gründungsdirektor des „Seminars für Kolonialsprachen“ in Hamburg, der als Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der afrikanischen Sprachen (Afrikanistik) bekannt wurde. Für dessen Lehrbuch „Die Sprache der Suaheli in Deutsch-Ostafrika“, dessen Orthographie sich offenbar an Mtoro Bakaris Aussprache orientiert, schrieb er die Gespräche und besorgte außerdem die „freundliche Durchsicht des Manuskripts“[4], ohne jedoch selbst als Koautor zu erscheinen.

Bereits 1904 hatte er Meinhof auf die von einem Hauchgeräusch begleiteten Laute im Swahili, also die aspirierten Phoneme tʰ, pʰ, kʰ und tʃʰ, aufmerksam gemacht. Europäer nahmen sie vielfach nicht wahr, obwohl sie als bedeutungsunterscheidendes Merkmal in Erscheinung traten. Auch Meinhof war dieses Detail 1902/03 bei seinem sechsmonatigen Aufenthalt in Ostafrika offenbar entgangen. Anscheinend nahm er dies zum Anlass, die Phonetik der afrikanischen Sprachen mit Hilfe der damals vorhandenen technischen Aufzeichnungsmöglichkeiten (Kymograph, Grammephon, etc.) systematisch zu untersuchen. Mtoro Bakari gab damit indirekt einen Anstoß für die Einrichtung des Phonetischen Laboratoriums. In Berlin konnte sich Meinhof mit dieser innovativen Idee nicht durchsetzen, doch genau ein Jahr nach seinem Wechsel nach Hamburg nahm das Laboratorium im Oktober 1910 schließlich seine Arbeit auf.

Meinhof war Mtoro Bakari besonders dankbar für dessen vielfältige Zuarbeit. Als dieser das Seminar für orientalische Sprachen 1905 verließ, bescheinigte er ihm unter anderem: „Wegen seiner guten Aussprache, seines Lehrgeschicks und seiner persönlichen Bescheidenheit ist er nie ein neutraler Mitarbeiter gewesen, der mir auch außerhalb seines eigentlichen Dienstes jede sachliche und sprachliche Auskunft in der bereitwilligsten Weise zur Verfügung gestellt hat.“

Angesichts der systemimmanenten Gewalt und systematischen Unterdrückung, die von der deutschen Kolonialherrschaft ausging, drängt sich die Frage auf, wie es überhaupt dazu kam, dass Mtoro Bakari einen kleinen, jedoch nicht unwichtigen Beitrag zur kolonialen Wissensproduktion sowie zur Lehre der afrikanischen Sprachen und Kulturen leistete. Um darauf eine Antwort geben zu können, erscheint es sinnvoll, sein Verhalten aus der Perspektive der von ihm in Ostafrika und dem Deutschen Reich gemachten Erfahrungen zu betrachten.

Geboren wurde er in Dunda unweit der Hafenstadt Bagamoyo, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum bedeutendsten Ausgangspunkt des bis nach Zentralafrika reichenden Karawanenverkehrs aufstieg. Sowohl sein Großvater als auch sein Vater scheinen durch den regionalen Handel mit der Küste zu einigem Reichtum gelangt zu sein und sich schrittweise der islamischen Swahilikultur angenähert zu haben. Die Familie verfügte jedoch offenbar über keinen dauerhaften Reichtum, wie etwa eine Plantage. Sie war wohl auch nicht entscheidend am Fernhandel beteiligt, der neben Elfenbein zunehmend Sklaven an die ostafrikanische Küste brachte und so zur Ausweitung der dortigen Plantagenwirtschaft beitrug. Die Konkurrenz um den direkten Zugang zu diesem Handel führte an vielen Orten zu politischen Rivalitäten und zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten.

Die Bemühungen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, durch einen Vertrag mit dem Sultan von Sansibar die Verwaltung des unter dessen Einfluss stehenden Küstenabschnitts zu übernehmen, stieß auf Widerstand. Die numerisch weit unterlegenen deutschen Truppen setzen sich mit Hilfe von Söldnern, lokalen Kräften und der Überlegenheit ihrer Feuerkraft oft mit rücksichtsloser Brutalität durch. Im September 1888 zerstörten ihre Geschütze einen Teil der Stadt Bagamoyo – aufgrund eines drohenden Angriffs auf ihre Station. Im weiteren Umkreis der Stadt fand die von beiden Seiten ausgeübte Gewalt, unter der die unbeteiligte Bevölkerung und natürlich auch Mtoro Bakaris Familie zu leiden hatte, nach einigen Monaten ein Ende. Zu Beginn des Jahres 1891 übernahm das Deutsche Reich die Verwaltung der gesamten Kolonie Deutsch-Ostafrika und sorgte für den Aufbau des kolonialen Militärs. Bis zur Jahrhundertwende bestand die politische Priorität des Kolonialregimes darin, den Widerstand im gesamten Binnenland mit militärischen Mitteln zu brechen.

Im Bezirk Bagamoyo ermöglichten die Subventionen des Deutschen Reichs in den 1890er Jahren, den Bau von Straßen und Brücken voranzutreiben und in der Stadt selbst Gebäude, Brunnen usw. zu errichten. Ein Großteil der Bevölkerung nahm diese Investitionen offenbar positiv wahr. Mtoro Bakari selbst äußerte sich in den „Sitten und Gebräuchen“ in diesem Sinne und verteidigte gleichzeitig die sogenannte Hüttensteuer, die von den Deutschen ab April 1898 erhoben wurde. Bei deren Einführung war er selbst für eine begrenzte Zeit als Steuereintreiber tätig. Aus seinen Äußerungen geht hervor, dass viele ihn für seine Tätigkeit hassten, da sie die Steuer als ungerechtfertigte Zwangsmaßnahme empfanden. Dies galt umso mehr, als ihn zu seinem eigenen Schutz zumindest in einem Fall, wie er selbst berichtete, „mein Sklave“ und ansonsten zwei afrikanische Soldaten begleiteten.

Der durch die einheimischen Steuererheber ausgeübte Druck führte allerdings nur zu geringen Einnahmen. Ein weiterer Grund dafür war die schwerste und weitreichendste Hungersnot während der deutschen Kolonialzeit, die durch eine bis zum Jahr 1900 andauernde Trockenheit bedingt war. Das Kolonialregime konnte nur punktuell Nothilfe leisten. Viele Menschen befanden sich in einer prekären Situation, so wahrscheinlich auch Mtoro Bakari, der seine Frau und seine noch sehr junge Tochter zu versorgen hatte. Diese schwierigen Verhältnisse scheinen ein Grund dafür gewesen zu sein, dass er die angebotene Stelle in Berlin annahm, von wo aus er ihnen Unterhalt zahlte.

Schon bald sollte sich zeigen, dass weder Mtoro Bakaris positive Einschätzung des kolonialen Einflusses in Ostafrika noch seine Hoffnungen auf ein dauerhaft besseres Leben durch seine Tätigkeit in Deutschland Realität werden sollten. Anscheinend machte er zunächst überwiegend gute Erfahrungen. Carl Velten schätzte seine Arbeit und zollte ihm Respekt. Nachdem Velten heiratete, zog Bakari zunächst in die Zimmerstraße 9 und um die Jahreswende 1903/04 in die Kreuzbergstraße 21, wo er seine spätere deutsche Frau, Berta Hilske, kennenlernte. Nach der Verlobung im Mai heiratete das Paar im Oktober 1904. Unabhängig davon scheint Mtoro Bakari die Scheidung von seiner ersten Frau bereits im Dezember 1903 veranlasst zu haben. Carl Velten, der die Scheidung als nicht abgeschlossen betrachtete und ihn deshalb der Bigamie bezichtigte, versuchte, die Eheschließung zu verhindern. Der eigentliche Grund dafür war allerdings, dass aus seiner Sicht Ehen zwischen hell- und dunkelhäutigen „Rassen“ grundsätzlich verboten werden sollten.

Gegen den in der Folge erfahrenen Rassismus setzten sich die Bakaris offen zur Wehr. Berta und ihre Mutter wurden persönlich beim Direktor des Seminars vorstellig und beschwerten sich über die Versuche, die Heirat zu verhindern. Mtoro begann, Veltens Anweisungen zu ignorieren, und redete nicht mehr mit dem Direktor. Das Seminar kündigte ihm jedoch nicht, und zwar nicht nur, weil Carl Meinhof ihn weiterhin als Mitarbeiter beschäftigte, sondern auch, weil seine Rückreise nach Ostafrika nicht erwünscht war. Gleichzeitig wollte man eine beamtenrechtliche Auseinandersetzung um die vorzeitige Auflösung des bis zum Mai 1906 laufenden Arbeitsvertrags vermeiden. Als der Konflikt mit Velten im Mai 1905 eskalierte, bat Mtoro um die Auflösung seines Vertrages zum 15. August 1905. Sechs Tage später schifften sich die Bakaris in Genua ein und erreichten Dar es Salaam am 13. September.

Die gemeinsame Einreise wurde ihnen dort auf Veranlassung des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, Gustav Adolf Graf von Götzen, strikt verwehrt. Zu diesem Zeitpunkt gab es dafür weder eine gesetzliche Grundlage noch eine entsprechende Verordnung. Götzen selbst hatte noch im September 1904 die für die Eheschließung benötigte Bescheinigung an die Kolonialabteilung in Berlin weitergeleitet. Nicht nur deshalb konnte Mtoro Bakari kaum mit einem Einreiseverbot rechnen. Nicht-eheliche Beziehungen zwischen deutschen Männern und einheimischen Frauen waren in der Kolonie bis dahin weit verbreitet. Die Einreise des verheirateten Paares hätte eine völlige Umkehrung dieser Verhältnisse bedeutet und deshalb die asymmetrische soziale Ordnung infrage gestellt, auf der das Kolonialregime basierte. Das harte Vorgehen gegen die Bakaris erklärt sich auch aus der Tatsache, dass sie zu Beginn des Maji-Maji-Kriegs eintrafen, der die koloniale Herrschaft in schwere Bedrängnis brachte. Nach neun Tagen erzwungenem Aufenthalt auf dem Schiff kehrten sie nach Berlin zurück.

Der aggressive Rassismus, der in Berichten der deutschen Presse in Ostafrika zum Ausdruck kam, fand seinen Widerhall in einigen Zeitungen im Deutschen Reich, führte dort jedoch zu keinem großen öffentlichen Skandal. Innerhalb der Kolonialverwaltung scheint die Ehe der Bakaris ein wichtiger Anlass für verstärkte Maßnahmen gegen sog. „Mischehen“, also insbesondere Verbindungen zwischen deutschen Staatsbürgern und Angehörigen der deutschen „Schutzgebiete“, gewesen zu sein. Nach der Abreise der Bakaris aus Dar es Salaam im September 1905 wurde die erste diesbezügliche Anweisung in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) erteilt. Später folgten entsprechende Verordnungen auch in den anderen deutschen Kolonien; 1906 in Deutsch-Ostafrika und 1912 in Samoa. Im Deutschen Reich hingegen waren „Mischehen“ bis zum Beginn des Nazi-Regimes weiterhin anerkannt und möglich.[5] Die Geschichte des Ehepaars Bakari war innerhalb des Reichskolonialamts bekannt; sie wurde amtsintern zur Referenz für Ablehnungen von Anträgen „gemischter“ Paare zur Heirat[6] und Einreise in deutsche Schutzgebiete. Noch in den 1920er Jahren sollten diese Ehepaare nicht in die Kolonien einreisen.

Nach der erzwungenen Rückkehr aus Ostafrika versuchte Mtoro Bakari vergeblich, staatliche Stellen mit Eingaben dazu zu bewegen, das erfahrene Unrecht anzuerkennen und ihm zu einer angemessenen Tätigkeit zu verhelfen. Carl Meinhof vermittelte ihm 1909 eine Anstellung am Hamburgischen Kolonialinstitut. Gegen die Diskriminierungen, die er dort erfuhr, leistete er konsequent Widerstand. Der ehemalige Kolonialbeamte Hans Zache versuchte ihn 1911, vermutlich mit Unterstützung von Meinhof, in seinem Swahilikurs in der Rolle eines „Eingeborenen“ in einer gespielten Gerichtsverhandlung auftreten zu lassen. Mtoro Bakari setzte sich gegen die damit verbundene Zuschreibung der Position eines intellektuell limitierten Untertans mit Hilfe seiner Bildung und Kommunikationsfähigkeit zur Wehr. Am Ende bescheinigte Zache ihm, dass er als „Gelehrter“ dazu nicht geeignet sei und zog stattdessen dafür seinen eigenen „Boy“ heran.

Eine ähnliche Situation führte Ende 1913 zu seiner unverzüglichen Entlassung. Als der viel jüngere Martin Heepe, den viel erfahrenen Mtoro Bakari als „Sprachgehilfen“ einsetzen wollte, setzte sich dieser auf den Platz des Lehrers und weigerte sich, ihn zu verlassen. Auch in diesem Fall richtete sich sein Verhalten gegen die institutionelle Diskriminierung durch die ihm zugedachte Funktion im System der „Vorlesungen“ und „Übungen“. Er war bereit, die endgültige Konsequenz daraus zu ziehen. Meinhof verwehrte ihm in diesem Fall seine Unterstützung. Zwar war Meinhof von den anthropologischen Rassentheorien wenig überzeugt, doch aus seiner Sicht galt die in den Kolonien geforderte Unterordnung auch für in Deutschland. Mit dem Aufstieg jüngerer deutscher Kollegen musste diese Haltung unweigerlich zu einem Konflikt führen.

Ohne die Steine, die man ihm in Deutschland in den Weg legte, hätte Mtoro Bakari eine akademische Karriere offen gestanden. Nach seiner Entlassung in Hamburg zog er sich aus den kolonialen Kreisen zurück. Deshalb lassen sich ab 1914 nur noch spärliche Informationen über sein Leben finden. Eine Verdienstquelle waren Vorträge an verschiedenen Orten, über die wenig bekannt ist. Aufgrund des um sich greifenden Rassismus im Zusammenhang mit den Kampagnen gegen die Besetzung des Rheinlandes, woran Soldaten aus den französischen Kolonien beteiligt waren, besorgte er sich 1922 eine Bescheinigung, die ihn als Angehörigen der ehemaligen deutschen Kolonien auswies, um damit Anfeindungen abwehren zu können. Ein Brief, den er im November 1926 an den oben erwähnten Islamkundler C.H. Becker schrieb, ist ein möglicher Hinweis auf ernste gesundheitliche oder materielle Probleme. Die letzten erhaltenen Mtoro Bakari betreffenden Dokumente sind die Todesmeldung durch seine Frau am 14. November 1927 und seine Einwohnermeldekarte, auf der fälschlicherweise der 14. Juli als Todesdatum eingetragen wurde. Der Historische Beirat beim Senator für Kultur und Europa hat im Januar 2022 die Anbringung einer Berliner Gedenktafel aus Porzellan an seinem letzten Wohnort in Neukölln beschlossen, die an ihn erinnern wird.

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Abb. 1: Mitteilungen 1901. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mitteilungen_1901.jpg

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Zitieren des Artikels

Ludger Wimmelbücker: Mtoro Bakari in Kreuzberg. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/mtoro-bakari-in-kreuzberg/ (03.03.2025).

Literatur & Quellen

[1] Vgl. Wimmelbücker, Ludger, Mtoro bin Mwinyi Bakari (c.1869-1927) – Swahili lecturer and author in Germany, Dar es Salaam 2009.

[2] Velten, Carl, Sitten und Gebräuche der Suaheli nebst einem Anhang über Rechtsgewohnheiten der Suaheli, Göttingen 1903; Velten, Carl, Desturi za Wasuaheli na khabari za desturi za sheri‘a za Wasuaheli, Göttingen 1903.

Velten, Carl, Schilderungen der Suaheli von Expeditionen v. Wißmann, Dr. Bumillers, Graf v. Götzens, und Anderer, Göttingen 1901; Velten, Carl, Safari za Wasuaheli, Göttingen 1901.

[3] Allen, J.W.T. (Hg.), The Customs of the Swahili People: The Desturi za Waswahili of Mtoro bin Mwinyi Bakari and Other Swahili Persons, Berkeley u.a. 1981.

[4] Meinhof,  Carl, Die Sprache der Suaheli in Deutsch-Ostafrika, Berlin 1910.

[5] Vgl. Sippel, Harald, „„Im Interesse des Deutschtums und der weißen Rasse”: Behandlung und Rechtswirkungen von “Rassenmischehen” in den Kolonien Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika“, in: Jahrbuch für afrikanisches Recht, 9(1995), S. 123-159; Wildenthal, Lora, German Women for Empire, 1884-1945, Durham, London 2001.

[6] So lehnte das Kolonialamt 1916 etwa den Antrag von Max Bebe Same zur Heirat einer deutschen Frau wegen fehlender Dokumente aus Kamerun ab und verhinderte damit einen Einreiseversuch ins Kolonialgebiet. Zwei Aktennotizen verweisen dabei auf den „Fall des ostafrikanischen Negers Mtoro“, der „sehr lehrreich“ sei. Vgl. BArch R1001/4457f, Blatt 118-123.

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