VDA-Haus – Kolonialrevisionismus in Schöneberg

Mit dem Versailler Vertrag und damit als Folge der Niederlage im Ersten Weltkrieg endete 1919 die formelle deutsche Kolonialherrschaft. Von diesem Zeitpunkt an traten die Anhänger_innen des Kolonialrevisionismus für eine Wiedergewinnung der deutschen Kolonien ein. Der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Heinrich Schnee, schrieb mit „Die Koloniale Schuldlüge“ 1925 einen Bestseller, in dem er die Rückgabe der Kolonien forderte. Bereits das Buchcover wartete mit symbolischen Argumenten auf. Es zeigte eine abgeknickte Palme, die bildlich für den von nationalistischer Seite behaupteten Niedergang der überseeischen Territorien seit der Übergabe an andere Kolonialmächte stand.

Auch zahlreiche Vereine forderten eine Rückgabe der Kolonien. Hierzu gehörte etwa der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA). Dieser verstand sich als Bindeglied zwischen dem Mutterland und den auf der ganzen Welt ansässigen Deutschen, besonders den in den ehemaligen Kolonien verbliebenen. Zudem kämpfte der Verein für eine Revision des Versailler Vertrages. Ihre Anliegen unterstrichen sie mit Symbolen: Ihre VDA-Anstecknadel zeigte etwa eine blonde Frau mit langen Zöpfen. Die Frau wurde als Aushängeschild des Deutschtums stilisiert und verdeutlichte das rassistische Bild des Vereins von einer rein weißen Nation. Dabei wurden vor allem Frauen porträtiert, weil diese durch Fortpflanzung den Weiterbestand eines sogenannten ‚deutschen Volkstums‘ sichern sollten.

1927 zog der VDA in das neu eingerichtete VDA-Haus in der Martin-Luther-Str. 97 in Schöneberg. Auch die Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde (DGfE) mietete sich in diesem Haus ein. Letztere repräsentierte das Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche: Eigentlich wollte man nach dem Ende des Kolonialreichs die in Berlin lebenden Menschen aus den ehemaligen Kolonien in ihre Herkunftsregionen abschieben. Da dies wegen fehlender Einreisegenehmigungen der nachfolgenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich oft nicht möglich war, zahlte die DGfE den Betroffenen im Auftrag des Auswärtigen Amtes eine minimale finanzielle Unterstützung. So sollte verhindert werden, dass Migrant_innen in dauerhafte Armut abrutschten und so das Ansehen Deutschlands als ehemalige Kolonialmacht gefährdeten. Im VDA-Haus und bei der DGfE mussten auch die beiden Schöneberger Wilhelm Munumé und Peter Makembe regelmäßig vorstellig werden, um geringe Unterstützungszahlungen in Empfang zu nehmen.

Mit dem zunehmenden politischen Rechtstrend der späten Weimarer Republik intensivierten sich die Bemühungen zur Wiederaneignung der Kolonien. Unter dem gleichen Dach des VDA-Hauses waren weitere nationalistische und kolonialrevisionistische Organisationen untergebracht. Gemeinsam bekämpften sie die Aussöhnungspolitik der demokratischen Parteien mit den ehemaligen Kriegsgegnern. Allein der VDA zählte in der Zeit der Weimarer Republik mehr als zwei Millionen Mitglieder.

  • Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Kapitels aus der Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“, die das Schöneberg Museum vom 19.5. bis 29.10.2017 zeigte.

 

provided by Museum Tempelhof-Schoeneberg

Dieses Buch von Heinrich Schnee war ein kolonialrevisionistischer Bestseller. (Bild: Stefan Zollhauser)

Auch Berliner Schulen gehörten zur Zielgruppe des VDA und konnten Mitglied werden. (Museen Tempelhof-Schöneberg)

Das VDA-Haus in der Nachkriegszeit (1952). Über dem Rundfenster lässt sich noch das Signet „V.D.A.“ erkennen. Es existiert kein Foto von dem Haus aus der Weimarer Republik. (Museen Tempelhof-Schöneberg)

Stefan Zollhauser

Johanna Strunge

ORT

VDA-Haus, Martin-Luther-Str. 97

HEUTE

Martin-Luther-Str. 25

Zitieren des Artikels

Stefan Zollhauser Johanna Strunge VDA-Haus – Kolonialrevisionismus in Schöneberg. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: http://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/vda-haus-kolonialrevisionismus-in-schoeneberg/ (12.06.2024).

Literatur & Quellen

 

Zum Kolonialrevisionismus siehe:

Wolfe W. Schmokel: Der Traum vom Reich. Der deutsche Kolonialismus zwischen 1919 und 1945, Gütersloh 1967.

Kapitel „Koloniale Kriegszieldiskussion und Kolonialrevisionismus nach 1918“, in: Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn 20187.

 

Zu Kolonialverbänden:

Florian Wagner: Kolonialverbände in Deutschland, Frankreich, Spanien und Belgien. Von der kolonialpraktischen Kooperation zum ‘europäischen Ideal’ (1880-1914), in: Frank Bösch/Florian Greiner (Hg.): Europabilder im 20. Jahrhundert. Entstehung an der Peripherie, Göttingen 2012, S. 27-53.

Gerhard Weidenfeller: VDA. Verein für das Deutschtum im Ausland. Allgemeiner Deutscher Schulverein (1881-1918). Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Nationalismus und Imperialismus im Kaiserreich, Frankfurt (Main) 1976.

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