Botanischer Garten und Botanisches Museum

Im Jahr 1679 ließ Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von Brandenburg, im damals an der Straße nach Potsdam gelegenen Dorf und heutigen Berliner Stadtteil Schöneberg einen Nutzpflanzengarten anlegen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte dieser sich unter der Leitung von Johann Gottlieb Gleditsch zu einem Botanische Garten im engeren Sinne (Urban 1881).

Damit wurde der Garten zu einem Knoten in einem transnationalen botanischen Netzwerk, dessen Interesse sich auf die Inventarisierung und Erforschung der globalen pflanzlichen Diversität richtete, und das sich Hand in Hand mit der europäischen kolonialen Expansion entwickelte und entfaltete (Brockway 1979, Schiebinger & Swan 2005, Dauser et al. 2008, Baber 2016).

Die koloniale Expansion wurde von Botanikern begleitet und nicht selten durch ihre Forschungsreisen vorbereitet und unterstützt. Die Kolonialisierung ermöglichte Zugänge zur globalen Pflanzendiversität und das botanische Netzwerk gewährleistete den transnationalen Austausch von Pflanzen und Pflanzenwissen aus aller Welt. Dazu gehörte der Samentausch zwischen den Gärten, dessen Umsatz am Botanischen Gartens Berlin sich etwa in den 1810er-Jahren auf durchschnittlich 16.000 Samenportionen jährlich belief (Urban 1881: 33).

Um 1819 wurde der Garten durch ein eigenes Herbarium ergänzt, dessen Grundstock das persönliche Herbar von Carl Ludwig Willdenow bildete. Im Laufe des 19. Jahrhundert wurde der Garten mehrfach erweitert und 1879 wurde für die inzwischen stark gewachsenen, provisorisch untergebrachten Sammlungen und die Bibliothek ein eigenes Gebäude an der Grunewaldstraße errichtet, das Botanische Museum (Urban 1881; Böttcher & Ohlendorf 2022) und heutige „Haus am Kleistpark“.

Noch bevor der 1871 gegründete deutsche Nationalstaat selbst zur Kolonialmacht wurde, konnte der Botanische Garten Berlin durch das botanische Netzwerk und nicht zuletzt durch die für ihn sammelnden Forschungsreisenden, von Alexander von Humboldt über Friedrich Sellow bis Georg Schweinfurth, zu einer der großen Einrichtungen seiner Art in Europa werden. Schon 1846 war die Zahl der im Botanischen Garten Berlin kultivierten Arten auf über 14.000 gestiegen (Urban 1881: 42).

Botanische Gärten fungierten von Anbeginn als Knotenpunkte für die Erforschung und den Transfer von Pflanzenressourcen mitsamt des indigenem Pflanzenwissen aus den kolonisierten Territorien gerade auch zur kommerziellen Nutzung. Dies betrifft nicht nur Nutzpflanzen – Beispiele geben Büttner & Trautmann (2020), sondern auch eine im 19. Jahrhundert schnell wachsende Zahl von Zierpflanzen.

Als Biologen prägten Botaniker ein rassistisches Menschenbild mit, das die europäische koloniale Expansion ideologisch untermauerte, und sie transportierten es – individuell unterschiedlich – in ihrem Wirken. So war Carl von Linné nicht nur der Begründer der modernen biologischen Nomenklatur, sondern auch Wegbereiter der Klassifikation von Menschen in biologische Rassen, denen wertende Eigenschaften zugeschrieben werden (Linné 1766: 29 https://www.biodiversitylibrary.org/page/42946225).

Ein rassistisch geprägtes Menschenbild und die Attitüde, als Vertreter einer überlegenen Zivilisation zu agieren, bestimmen oft genug Handeln und Denken der Forschenden in ihrem Umgang mit indigenen Kulturen, fand ihren Niederschlag in ihrer Wissensproduktion und in einer verbreiteten Ignoranz gegenüber indigenen Wissenssystemen (Mills 2007, Schiebinger 2021).

Fünf Jahre nach der Berliner Konferenz im Jahre 1884, auf der die europäischen Kolonialmächte die Aufteilung von Afrika untereinander aushandelten und in deren Folge Deutschland zur Kolonialmacht mit dem drittgrößten kolonisierten Territorium wurde, sicherte ein Bundesratsbeschluss vom 21. Februar 1889 dem Botanischen Garten zusammen mit dem Museum für Naturkunde und dem Museum für Völkerkunde jeweils den ersten Satz der naturwissenschaftlichen und ethnographischen Sammlungen aller auf Reichskosten ausgesandten Expeditionen zu (Kaiser 2021).

Die Bemühungen der Leitung des Botanischen Gartens Berlin um staatliche Unterstützung für die Erforschung der Pflanzenwelt in den von Deutschland kolonisierten Gebieten brachte nach mehrjährigen Verhandlungen zwischen dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reichs, dem Preußischen Kultusministerium und der Leitung des Botanischen Gartens Berlin Ergebnisse. Am 31. März 1891 wurde die „Botanische Centralstelle für die deutschen Kolonien“ am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin gegründet (Kaiser 2021).

Die Centralstelle hatte drei Aufgabenbereiche (Zepernick 2002, Kaiser 2021):

a) Beschaffung von geeigneten Arten tropischer Nutzpflanzen; Versand von Samen und Lebendpflanzen insbesondere an die landwirtschaftlichen Forschungsgärten in den deutschen Kolonien zur Unterstützung der kolonialen Plantagenwirtschaft.

b) Erforschung der pflanzlichen Diversität in den Kolonien im Hinblick auf ihre kommerzielle Nutzbarkeit

c) Ausbildung von Gärtnern für den Kolonialdienst; Beratung von Behörden, Plantagen und anderen Unternehmen, Missionsstationen; Anleitung von Gärtnern, Kolonialbeamten, Kaufleuten, Missionaren, Plantagenbesitzern und anderen (damals fast ausnahmslos Männer), die sich kurz oder längerfristig in den Kolonien aufhielten, zur Sammeltätigkeit für den Botanischen Garten und das Botanische Museum

Darüber hinaus vermittelten der Botanischer Garten und das Botanisches Museum Berlin zusammen mit der Centralstelle durch ihre Ausstellungen Wissen über Pflanzen in den Kolonien (insbesondere Nutzpflanzen) und deren Produkte an ein breites Publikum, um das Interesse in der Bevölkerung an den deutschen Kolonien zu stärken.

Mit der Unterstützung der Plantagenbesitzer und landwirtschaftlichen Forschungsgärten Victoria (Kamerun), Amani (Deutsch-Ostafrika, heute Tansania), Misahöhe und Sokodé (Togoland, heute Togo) sowie in Rabaul (Deutsch-Neuguinea, heute Papua-Neuguinea) half der Botanische Garten Berlin bei der Durchsetzung der Plantagenwirtschaft in den Kolonien. Diese führte weithin zur Zerstörung der indigenen Ökonomien, Enteignung und Landvertreibung der ansässigen Bewohner, Zwangsarbeit und letztlich brutale militärische Niederschlagung von Aufständen (Conrad 2019).

Zur Organisierung und Finanzierung angewandter Forschung zur kolonialen Land- und Forstwirtschaft gründeten kolonialwirtschaftliche Unternehmer am 25. Oktober 1897 das „Kolonial-Wirtschaftliche Komitee (KWK)“, das auch eine eigene Zeitschrift, den „Tropenpflanzer“ herausgab. Das Komitee finanzierte Studien und Expeditionen, an denen auch Botaniker des Botanischen Gartens Berlin teilnahmen (Zepernick 1990).

Die fehlenden Erweiterungsmöglichkeiten für die Lebend- und Museumssammlungen und die Emissionsbelastung der Pflanzen durch die zahllosen Kohleöfen in der Nachbarschaft im nunmehr innerstädtischen Schöneberg, führten unter der Leitung von Adolf Engler als Direktor und Ignatz Urban als Unterdirektor zur selben Zeit zu Plänen für eine Verlegung des Gartens (Urban 1916).

So erfolgte zwischen 1895 und 1910 die großzügige Neuanlage von Garten und Museum in Dahlem bei Berlin als neu entstehendem Wissenschaftsstandort. Am neuen Standort spiegeln sich mit dem von Direktor Adolf Engler entwickelten Konzept „Die Welt in einem Garten“ die imperiale Größe und der Reichtum der nach Hegemonie strebenden Kolonialmacht wider.

Wenig später hatte der Ausgang des Ersten Weltkriegs die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen erheblich geändert. Die staatliche Finanzierung der „Botanische Centralstelle für die deutschen Kolonien“ wurde nach der im Versailler Vertrag besiegelten Abtretung der deutschen Kolonien 1920 eingestellt und diese aufgelöst (Zepernick 2002, Kaiser 2021).

Mit Hilfe der „Centralstelle“ sowie der Unterstützung durch das „Kolonial-Wirtschaftlichen Komitee“ konnte der Botanische Garten Berlin zwischen 1891 und 1920 seine Sammlungen aus den Kolonien ganz erheblich vergrößern. Das Ende der deutschen Kolonien bedeutete aber weder das Ende der von deutschen Unternehmern betriebenen Plantagen noch der botanischen Forschungs- und Sammlereisen deutscher Botaniker (Timler & Zepernick 1987). So erhielt der Botanische Garten Berlin beispielsweise eine der größten Pflanzenaufsammlungen (mehrere 10.000 Belege) aus dem heutigen Tansania, die Gustav Albert Peter 1925–1926 zusammengetragen hatte (Peter 1927, Polhill & Polhill 2015).

Eine kurzzeitige Wiederbelebung erfuhr die Zentralstelle für die Kolonien zwischen 1939 und 1943. Auf Anordnung des NS-Reichswirtschaftsministerium war 1936 die „Gruppe Deutscher Kolonialwirtschaftlicher Unternehmungen“ („DeKo-Gruppe“) als alleinige Vertreterin der im weiteren Sinne kolonialwirtschaftlich tätigen deutschen Firmen gegründet worden. Kurt Weigelt, seit 1922 im Vorstand der Deutschen Bank, Fördermitglied der SS, Leiter der Abteilung Wirtschaft im Kolonialpolitischen Amt der NSDAP (KPA) und der strategische Kopf „der gesamten NS-Kolonialplanungen auf wirtschaftlichem Gebiet“ wurde zu ihrem Leiter ernannt (Linne 2006: 144–145, 150–151). Von der DeKo erhielt der Botanische Garten Berlin 1937 zunächst den Auftrag, „auf Einladung einiger im englischen Mandatsteil Kameruns liegender [deutscher] Pflanzungen […] das Studium eines möglichen Einsatzes angewandt-wissenschaftlicher Arbeiten“ zu prüfen (Anonym 1939: 393). Zu diesem Zweck wurde Walter Domke, seit 1928 Wissenschaftler auf befristeten Stellen am Botanischen Garten Berlin, von Januar bis Juni 1938 nach Kamerun geschickt. Am 1. August 1939 nahm dann die „Botanische Zentralstelle für die Kolonien“, wie ihr neuer Name lautete, ihre Aktivitäten auf (Anonym 1940: 280, 559) – nur einen Monat vor dem deutschen Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann; am 18. September 1941 erfolgte die offizielle Anerkennung der Zentralstelle durch das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Anonym 1942: 652, Linne 2006). Finanziert wurde die Zentralstelle durch die DeKo, was die Stelle von Domke einschloss, der für die Leitung der Zentralstelle vom Botanischen Garten beurlaubt wurde (Anonym 1940: 559, Linne 2006: 154). Nachdem der Kriegsverlauf weitere Reisen unmöglich gemachte hatte, arbeiteten Domke und seine Mitarbeiter an zwei Tafelwerken zu tropischen Nutzpflanzen und „für das Vieh giftige oder schädliche Gewächse in Afrika“ (Gerloff et al. 1989: 5). Sie versorgten verschiedene kolonialpolitische Akteure, darunter auch Angehörige von Wehrmacht und SS, mit Vorträgen, Lehrkursen und Gutachten vornehmlich zu afrikanischen Pflanzen und legten „im Interesse kolonialwirtschaftlicher Belange in Warmhäusern des Gartens ausgedehnte Kulturen zahlreicher Ölpalmenselektionen“ an (Anonym 1941: 559f.; Anonym 1942: 652f.).

provided by Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf

Dr. Norbert Kilian

Nadine Csonka

ORT

HEUTE

Königin-Luise-Straße 6-8

Zitieren des Artikels

Dr. Norbert Kilian Nadine Csonka Botanischer Garten und Botanisches Museum. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/botanischer-garten-und-botanisches-museum/ (08.06.2023).

Literatur & Quellen

Zum Thema “ Botanische Gärten, Pflanzensammlungen und Kolonialismus“ hat der Verband der Botanischer Gärten im Januar 2023 ein Positionspapier veröffentlicht: https://www.verband-botanischer-gaerten.de/userfiles/documents/Nachrichten_des_Verbandes/Kolonialismus_und_Botanische_Gaerten_-_Positionspapier_VBG_2023.pdf

 

Anonym 1940: Bericht über den Botanischen Garten und das Botanische Museum zu Berlin-Dahlem vom 1. April 1939 bis 31. März 1940. Notizblatt des Botanischen Gartens und Museums zu Berlin-Dahlem (15): 279–301.

Anon. 1941: Bericht über den Botanischen Garten und das Botanische Museum zu Berlin-Dahlem vom 1. April 1940 bis 31. März 1941. Notizblatt des Botanischen Gartens und Museums zu Berlin-Dahlem 15: 551-571.

Anonym 1942: Bericht über den Botanischen Garten und das Botanische Museum zu Berlin-Dahlem vom 1. April 1941 bis 31. März 1942. Notizblatt des Botanischen Gartens und Museums zu Berlin-Dahlem (15): 643–661.

Baber Z. 2016: The plants of empire: botanic gardens, colonial power and botanical knowledge. Journal of Contemporary Asia 46(4): 659-679. https://doi.org/10.1080/00472336.2016.1185796

Böttcher C. & Ohlendorf J. 2022: Grüne Spuren. Haus am Kleispark. Ein Audiowalk über den ersten Botanischen Garten Berlins. https://www.hausamkleistpark.de/audiowalk/

Brockway L. H. 1979: Science and colonial expansion: the role of the British Royal Botanic Gardens. American Ethnologist 6(3): 449-465.

Büttner K. & Trautmann R. 2020: Curare, Kautschuk, Stevia – eine koloniale Spurensuche über das Pflanzensammeln. Ein Podcast über das Pflanzensammeln https://www.fdcl.org/publication/2020-10-16-curare-kautschuk-stevia-eine-koloniale-spurensuche-ueber-das-pflanzensammeln/

Conrad S. 2019: Deutsche Kolonialgeschichte, ed. 4. München: C. H. Beck

Dauser R., Hächler S., Kempe M., Mauelshagen F., Stuber M. (Hrsg.) 2008: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfers in europäischen Korrespondenznetzwerken des 18. Jahrhunderts. – Berlin: Akademie-Verlag.

Gerloff J., Raadts E. & Timler F. K. 1989: Dr. Friedrich Walter Domke (19.10.1899–28.7.1988). Willdenowia 19: 5–12.

Kaiser K. 2021: Wirtschaft, Wissenschaft und Weltgeltung. Die Botanische Zentralstelle für die Kolonien am Botanischen Garten und Museum Berlin (1891-1920). – Zivilisation und Geschichte Band 66 [Berlin: Peter Lang]

Linné C. 1766: Systema naturae, ed. 12, 1(1).  https://www.biodiversitylibrary.org/page/42946225.

Linne K. 2006: Afrika als „wirtschaftlicher Ergänzungsraum“: Kurt Weigelt und die kolonialwirtschaftlichen Planungen im „Dritten Reich“. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 47: 141–162.

Mills C. 2007: White ignorance. Pp. 26-31 in: Sullivan S. & Tuana N. (ed.), Race and epistemologies of ignorance. – Albany: SUNY Press.

Peter A. 1927: Zwei Expeditionen Nach Deutsch-Ostafrika 1913/19 und 1925/2ό. Koloniale Rundschau 27(2): 33–42, 27(3): 65–75

Polhill D. & Polhill R. 2015: East African Plant collectors. Kew: Royal Botanic Gardens.

Schiebinger L. 2021: Plants and Empire: Colonial Bioprospecting in the Atlantic World. – Cambridge, MA: Harvard University Press https://doi.org/10.4159/9780674043275

Schiebinger L. & Swan C. 2005: Colonial botany: science, commerce, and politics in the early modern world. – Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press.

Timler F. K. & Zepernick B. 1987: German colonial botany. – Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 100: 143–168.

Urban I. 1881: Geschichte des Königl. botanischen Gartens und des Königl. Herbariums zu Berlin. – Jahrbuch des Königl. Botanischen Gartens und Botanischen Museums zu Berlin 1: 1-164. https://www.biodiversitylibrary.org/page/44046647

Urban, I. 1916: Geschichte des Königlichen Botanischen Museums zu Berlin-Dahlem (1815-1913) nebst Aufzählung seiner Sammlungen. – Beih. Bot. Centralbl., Abt. 1, 34: 1-457.

Zepernick B. 1990: Zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Die deutsche Schutzgebiets-Botanik. – Berichte Wissenschaftsgeschichte 13: 207–217.

Zepernick B. 2002: Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien. Pp. 107-111 in: Heyden U. van der & Zeller J. (Hrsg.), Kolonialmetropole Berlin / Eine Spurensuche. Berlin: Berlin Edition.

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