Die Kolonialausstellung in der Oberrealschule Pankow 1934

Als Folge des Ersten Weltkriegs verlor Deutschland mit Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags am 28. Juni 1919 seine Kolonien.[i] Viele Deutsche betrachteten diesen Verlust ebenso wie andere Gebietsverluste als ungerecht. Es entstand analog der „Kriegsschuldlüge“ die auf die deutschen Kolonien bezogene „Kolonialschuldlüge“.

Während der Weimarer Republik gab es mehrere Organisationen, die Einfluss auf die Kolonialdiskussion nahmen. Die Deutsche Kolonialgesellschaft war die mitgliederstärkste. Bekannte Protagonisten wie Heinrich Schnee, der frühere Gouverneur von „Deutsch-Ostafrika“, hielten Vorträge. Gedenkveranstaltungen für die Gefallenen der „Deutschen Schutztruppe“ in „Deutsch-Südwest“ fanden regen Zulauf. Kolonialdenkmäler wurden errichtet. Geschickt knüpfte man Netzwerke, denen auch Lehrer (in der Tat Männer) als Verbindungsleute in den Schulen angehörten. Ein von der „Deutschen Kolonialgesellschaft“ angeregter „kolonialer Jugendausschuß“ sollte in den Schulen „Aufklärungsarbeit“ leisten.[ii]

Die Oberrealschule Pankow

Auseinandersetzungen zwischen kaisertreuen und republikanischen Kräften waren in der Weimarer Republik an der Tagesordnung. Die junge Republik erwies sich als fragil, so dass es von großer Bedeutung war, wer in den Schulen unterrichtete und die neuen pädagogischen Richtlinien umsetzte. Auch in der Oberrealschule Pankow, einer Schule für Jungen mit männlichem Lehrpersonal, spiegelten sich die politischen Konflikte jener Zeit wider.[iii] 1924 hielt Studienrat Friedrich Lindemann anlässlich einer „Totenfeier“ in der Schule eine Ansprache: „An Euch, deutsche Jugend, wird es sein, das, was Eure Väter nicht erreicht haben, nachzuholen, die an unserem Volke begangenen Vergehen wieder gutzumachen, die ihm zugefügte Schmach abzuwaschen, das deutsche Volk im Innern wieder zu einen und das Vaterland von fremdem Joche, aus der Knechtschaft, in der es sich jetzt befindet, zu befreien; wenn es auf friedlichem Wege nicht möglich ist, dann bleibt nur der Weg der Gewalt offen.“[iv]

1930 gelangte ein innerschulischer Vorgang in die Presse: Der an den Abiturprüfungen teilnehmende Oberschulrat musste feststellen, dass in der Schule vorwiegend antirepublikanische Themen gewählt und gut benotet wurden. Es folgte eine Untersuchung wegen staatsfeindlicher Betätigung einzelner Lehrer und Schüler. Im Bericht des Oberschulrats ging es erneut um den Studienrat Lindemann und dessen Deutschunterricht. Ausschnitte aus Aufsätzen konnten die antirepublikanische und antisemitische Haltung einiger Schüler belegen.[v] Die Beteiligten wurden vorgeladen und ausführlich befragt. Im April 1930 folgten Disziplinarverfahren mit dem Ziel der vorläufigen Dienstenthebung unter anderem gegen Friedrich Lindemann.

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Das Programm der NSDAP von 1920 forderte zwar die Rückgabe der Kolonien als Lebensmittelreserve und zur Ansiedlung des „Bevölkerungsüberschusses“, Adolf Hitler zeigte jedoch kein großes Interesse an der Kolonialfrage. Eindeutig im Vordergrund stand die Gewinnung von „Lebensraum im Osten“. Die Lobbyisten der Kolonialvereine bemühten sich daher eifrig, das Thema verstärkt und schließlich mit Erfolg in die NSDAP zu tragen.[vi]

In der Oberrealschule Pankow trat Max Poppe kommissarisch die Nachfolge von Direktor Ranke an.[vii] Max Poppe wurde am 15. Januar 1890 geboren, studierte in Jena, München und Halle. Er wurde Studienrat für Zoologie und Botanik, Chemie und Mineralogie sowie Physik. Während des Ersten Weltkrieges war er freiwilliger Krankenpfleger. Von 1919 bis 1931 gehörte er einer Freimaurerloge an. Dem NS-Lehrerbund trat er am 1. Januar 1932 bei, der NSDAP am 17. März 1933.[viii]

Die Kolonialausstellung an der Schule

Max Poppe offenbarte ein großes Interesse am Kolonialthema. Er organisierte bereits 1933 an der Oberrealschule Pankow einen Arbeitskreis zur Erstellung einer Kolonial-Gedenkhalle sowie einer Kolonialausstellung. Nach einem Jahr Vorbereitungszeit konnte die Kolonialausstellung in der Schule Anfang Juni 1934 eröffnet werden.[ix] Stolz meldete Max Poppe der Schulbehörde, dass er bereits im Mai 1933 angeregt hatte, den kolonialen Gedanken in der Schule zu pflegen. Poppe war damit tatsächlich seiner Zeit voraus: Erst im September und November 1933 gab es Erlasse des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zur „Pflege des kolonialen Gedankens“ in den Schulen. Als wesentlich galt der „Kampf um den deutschen Lebensraum“.

Die Eröffnung der Kolonialausstellung wurde feierlich mit Reden und Musik gestaltet. Redner waren der Bürgermeister von Pankow Dr. Hans Meißner,[x] der Präsident des Kolonialwirtschaftlichen Komitees Geheimrat Schmidt,[xi] der Leiter der Schulabteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft Dr. Maywald und Max Poppe. Die Schule erstellte eine umfangreiche bebilderte Dokumentation der Ausstellung, die Max Poppe an die Schulbehörden schickte.[xii]

Die Ausstellung fand ein Echo weit über die Schule hinaus, diverse Zeitungen berichteten.[xiii] Im Berliner Norden war zu lesen: „Im Verlauf des Rundgangs nahm Bürgermeister Dr. Meißner das Wort, um dem geistigen Schöpfer der Ausstellung, Oberstudiendirektor Poppe, warmherzig für das Vorbildliche zu danken, was hier geleistet wurde. Er sei stolz, daß es gerade eine Pankower Schule sei, die richtungsweisend vorangehe.“[xiv]

Im Völkischen Beobachter, dem Parteiorgan der NSDAP, wurde die Ausstellung genauer beschrieben: „Aus dem einfachsten Material, aus alten Strümpfen, Holzwolle und rohem Holz haben sie wirklichkeitsgetreue Ansiedlungen […] hergestellt. Mit Farbe und Pinsel haben sie afrikanische Landschaften an die Wand geworfen. Genaue Statistiken zeigen die Mengen von Rohstoffen, die wir früher aus eigenen Kolonien einführen konnten, und die wir jetzt aus dem Auslande beziehen müssen. Die einzigartigen Gebrauchsgegenstände der Eingeborenen, Handwerkszeug, hohe Kämme mit riesigen Zinken, bunte, helle Lendenschürze, kühn geschwungene Messer, holzgeschnitzte Tabakspfeifen, darunter viele echte Stücke, die von der Deutschen Kolonialgesellschaft zur Verfügung gestellt worden sind, kann man sehen. Von den Wänden blicken lebensgroße, gut dargestellte Eingeborenentypen in ihren malerischen Gewändern, aus Sand und Holz haben kunstfertige Hände die Häfen von Deutsch-Südwest-Afrika plastisch nachgebildet.“[xv]

Das Preisausschreiben des Voggenreiter-Verlags

Am 20. November 1934 meldete Max Poppe dem „Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“, dass die Oberrealschule Pankow den ersten Preis im Preisausschreiben des Voggenreiter-Verlags Potsdam gewonnen habe: „Für den besten und schönsten Ausdruck kolonialer Werbung an deutschen Schulen.“[xvi] Als erster Preis war eine Reise von zwölf Schülern in die ehemalige Kolonie „Deutsch-Südwest“ ausgesetzt worden. Sechs Teilnehmer durfte die Oberrealschule Pankow stellen. Darüber berichtete der Völkischer Beobachter: Die sechs ausgewählten Jungen „werden da draußen die Augen offenhalten und lernen und nochmals lernen, werden erkennen, warum Deutschland Kolonien nötig hat, und werden ihr Wissen in der Heimat nutzbringend verwerten können.“[xvii]

Auch in der Deutschen Kolonialzeitung erschien ein Artikel, verfasst von Heinrich Lietz, der an dem Ausstellungsprojekt beteiligt war.[xviii] Er nannte die Namen der Schüler, die an der Reise teilnehmen sollten: die Primaner Günter Kühne, Günter Holz und die Untertertianer Heinz Freidanck, Siegfried Koska, Rudolf Braun und Rudolf Paulisch.

Sogar die Swakopmunder Zeitung in Südwestafrika veröffentlichte einen Artikel mit der Überschrift „Deutsche Jungen nach Südwest“.[xix] Neu sind hier Informationen über die maßgebliche Rolle der NS-„Reichsjugendführung“. Der Hintergrund könnte sein, dass ab Juni 1934 „alle Richtlinien und Weisungen in kolonialpolitischen Fragen an die Hitler-Jugend“ nur über den „Stellvertreter des Führers“ – also Rudolf Heß – gegeben werden sollten.[xx] Außerdem heißt es, dass es „voraussichtlich eine gemeinsame Fahrt geben werde. Allerdings kam die Reise vermutlich nie zustande.[xxi]

Folgenlos blieb die Ausstellung dennoch nicht. Studienassessor Heinrich Lietz verfasste im Auftrag des Reichskolonialbunds die Broschüre „Wir bauen eine Kolonialausstellung“[xxii], einen Leitfaden für künftige Ausstellungen. Das Heft orientiert sich an der Ausstellung der Oberrealschule Pankow. Die Broschüre unterstreicht die Vorreiterrolle dieser Schule beim Kolonialthema: Ihre Ausstellung lässt sich als Prototyp für weitere Schulausstellungen einordnen. Der Stellenwert des Kolonialthemas gipfelte 1938 in der Umbenennung der Oberrealschule Pankow in „Karl-Peters-Schule“.[xxiii]

provided by Museum Pankow

Doris Fürstenberg

ORT

Neue Schönholzer Straße 32

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Zitieren des Artikels

Doris Fürstenberg: Die Kolonialausstellung in der Oberrealschule Pankow 1934. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/die-kolonialausstellung-in-der-oberrealschule-pankow-1934/ (24.10.2024).

Literatur & Quellen

[i] Dies ist die stark gekürzte Fassung eines längeren Aufsatzes, der erschienen ist in: Bernt Roder (Hg.), (De)Koloniale Spuren in Pankow, Berlin 2004, S. 96-109. Dieser gedruckte Aufsatz enthält weitere biografische Details, Abbildungen, historische Einordnungen und ausführliche Literatur- und Quellenangaben.

[ii] Vgl. Bundesarchiv Berlin (im Folgenden BArch), R 8023/151, Deutsche Kolonialgesellschaft. Innerhalb der Kolonialgesellschaft war eigens eine Schulabteilung eingerichtet worden, deren Mitglied u. a. Studienreferendar Heinrich Lietz, Berlin-Pankow, Berliner Straße 85, war.

[iii] Die Schule befand sich in der Neuen Schönholzer Straße 32, am heutigen Standort der Reinhold-Burger-Schule.

[iv] BArch, R 4901/5773, Oberrealschule Pankow/Karl-Peters-Schule 1899–1937.

[v] Ebd.

[vi] BArch, R 1001/6747. Ich danke Oliver Gaida für diesen Hinweis.

[vii] Gegen die Einsetzung des Direktors Ranke 1932 gab es massive Proteste von Eltern und vom Evangelischen Oberkirchenrat, denn Ranke war Katholik und angesichts von nur vier Prozent katholischen Schülern sei dies nicht tragbar. Vgl. BArch, R 4901/5773, Oberrealschule Pankow/Karl-Peters-Schule 1899–1937.

[viii] BArch, R 4901/5773, Oberrealschule Pankow/Karl-Peters-Schule 1899–1937. Hier werden auch die Probleme bei seiner Bestätigung als Direktor behandelt. Als früheres Mitglied einer Freimaurerloge kam Poppe als Direktor nicht in Frage.1935 musste er deshalb die Schule verlassen. Poppes Fürsprecher in der NSDAP machten jedoch ihren Einfluss geltend, so dass er 1937 letztlich doch als Direktor bestätigt wurde. Siehe auch BArch, R 9361-I/2699 und BArch, VBS 1009 (NS 23) /ZA II 09658. Für Personalunterlagen zu Max Poppe siehe auch Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, GUT Lehrer (Personalunterlagen von Lehrkräften), 159150.

[ix] Erstmals erwähnt bei Joachim Zeller, Die „koloniale Wissens- und Willensbildung der Jugend“ fördern – Die „Kolonialschau“ in der Pankower Oberrealschule, in: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 252–255. Ich danke Joachim Zeller für wichtige Hinweise.

[x] Dr. Hans Meißner, Bürgermeister des Bezirks Pankow von 1925 bis 1944, erst Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP), dann der NSDAP.

[xi] Das Kolonialwirtschaftliche Komitee wurde 1896 gegründet und finanzierte wirtschaftliche sowie wissenschaftliche Expeditionen. Es beriet ab 1902 die Deutsche Kolonialgesellschaft in ökonomischen, nicht jedoch in politischen Fragen.

[xii] Landesarchiv Berlin (im Folgenden LAB), A Rep. 049-08, Nr. 551 und BArch, R 4901/5773.

[xiii] Ebd.

[xiv] Berliner Norden, 4. Juni 1934.

[xv] Völkischer Beobachter, 5. Juni 1934.

[xvi] Ausschreibung für das Preisausschreiben des Voggenreiter-Verlags siehe: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 24. November 1933. Werbung für den „Spurkalender 1934. Kalender des deutschen Jungen“ mit dem Preisausschreiben „Willst Du mit nach Südwest?“

[xvii] Ohne Datum, vermutlich Dezember 1934, abgelegt in BArch R 4901/5773. Der Bericht erschien im Berliner Beobachter, dem täglichen Beiblatt zum NSDAP-Organ Völkischer Beobachter.

[xviii] Heinrich Lietz, Deutsche Schule, deutsche Kolonien, in: Deutsche Kolonialzeitung 1935, Heft 2, S. 29.

[xix] Swakopmunder Zeitung, Swakopmund, 10. November 1934. Bibliothek der Scientific Society Swakopmund. Ich danke Trudi Stols und Martin Amedick für ihre Hilfe.

[xx] BArch R 1001/6747, Jugendausschuß der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft, Band 3 Juni 1934 bis November 1937. Reichsjugendführung Abteilung „Ausland“, Kolonialreferat.

[xxi] Dazu Mitteilungen der Bibliothek der Scientific Society Swakopmund, E-Mail vom 19. August 2022. Ebenso: Forum deutschsprachiger Namibier, E-Mail vom 24. Oktober 2022. Ebenso: Thomas Mietk, Leiter des Kreisarchivs Landkreis Dahme-Spreewald (wegen der Schüler aus Lübben), E-Mail vom 19. Oktober 2022. Franziska Schumacher, Stadtarchiv Halberstadt (wegen der Schüler aus Halberstadt), E-Mail vom 24. November 2022. In der Akte BArch R 1001/6747 gibt es penible Abrechnungen. Wenn die Fahrt zustande gekommen wäre, müssten sich hier Unterlagen finden lassen. So gibt es z. B. Abrechnungen über eine Fahrt von sieben Jungen aus Südwestafrika nach Elbing aus dem Jahr 1935. Ein Grund für das Nichtzustandekommen könnte sein, dass die Hitlerjugend im Mandatsgebiet Südwestafrika 1934 verboten wurde und lediglich unpolitische Organisationen weiterhin erlaubt waren.

[xxii] Heinrich Lietz, Wir bauen eine Kolonialausstellung. Eine praktische Anleitung für Schulen, hrsg. v. Reichskolonialbund, Berlin 1937. Ob der Verfasser mit dem Maler Heinrich Lietz (06.10.1909–24.07.1988) identisch ist, ließ sich nicht restlos klären, ist aber wahrscheinlich. Diese Vermutung untermauern auch E-Mails von Dirk Schleinert, Stadtarchiv Stralsund, vom 19. Oktober und 17. November 2022.

[xxiii] Der Name wird meist Carl Peters geschrieben, aber auch Karl Peters. Die Schule wählte den Vornamen Karl.

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