Kolonialfilmunterhaltung am Nollendorfplatz

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelte sich das noch junge Medium Film zu einem festen Bestandteil der Berliner Unterhaltungskultur. In der Großstadt entstand rasch eine relativ hohe Dichte an Ladenkinos und Lichtspielhäusern, in denen es auch Filme aus den und über die deutschen Kolonien zu sehen gab. Die Möglichkeit, im Kinosessel gefahrlos in die weit entfernten Kolonien zu reisen, stieß beim Publikum auf Begeisterung. Vor allem Aufnahmen von exotischen Tieren und Großwildjagden waren beliebte Sujets. Die Programmauswahl in den Kinos beschränkte sich aber nicht ausschließlich auf Naturaufnahmen. Es wurden zahlreiche kolonialpropagandistische Filme gezeigt, die das vorgefertigte Weltbild des Publikums bestätigen sollten. Die Mehrzahl der Kolonialfilme bekräftigte bestehende rassistische Stereotype und verherrlichte die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der Deutschen in den überseeischen Gebieten.

Im Schöneberger Neuen Schauspielhaus am Nollendorfplatz wurde 1911 der Mozartsaal zum Lichtspieltheater umgebaut und hier fortan auch Kolonialfilme gezeigt. Mehrfach präsentiert wurden hier die Kolonialfilme Robert Schumanns. Nach den Vorführungen im Mozartsaal zeigte Schumann seine Filme 1914 auch im ebenfalls am Nollendorfplatz gelegenen Cines und damit im ersten eigenständigen Kinobau Berlins, das ein Jahr zuvor seine Türen geöffnet hatte.

Schumann war 1904 erstmals mit seiner Kamera nach Deutsch-Südwestafrika (DSWA, heute Namibia) gereist, um eine Expedition filmend zu begleiten. Als kurz darauf der Krieg gegen die Herero und Nama ausbrach, änderte Schumann kurzerhand seine Pläne und trat auf Seite der Deutschen den sogenannten ‚Schutztruppen‘ bei. Ein Jahr später kehrte er verwundet und zugleich militärisch ausgezeichnet nach Deutschland zurück. In seinem Gepäck hatte er auch Filmmaterial, das das Armeeleben in DSWA zeigte und damit für das Publikum im deutschen Kaiserreich völlig neue Bilder und Eindrücke. Ab 1907 arbeitete Schumann als Filmvorführer für die Deutsche Kolonialgesellschaft und präsentierte dabei sein Filmmaterial zusammen mit seinen Erzählungen aus erster Hand. Diese Live-Aufführungen authentifizierten das Filmmaterial und waren wohl auch deshalb so beliebt, weil Schumann einfach und verständlich sprach. Mit seinen Auftritten lässt sich Schumann in den Kontext populärer Präsentationen über den Krieg gegen die Herero einordnen.

Im Laufe weiterer Reisen in die Kolonien spezialisierte sich Schumann auf Jagdfilme, für die er noch größere Bekanntheit erlangte. In seinen Filmen – wie etwa der „Nashornjagd in Deutsch-Ostafrika“ (1913) – inszenierte sich Schumann als meisterhafter Jäger. Zudem stellte er sich in den Filmen als Afrika-Experte dar, indem er zum Beispiel vor laufender Kamera zeigte, wie die Haut des Nashorns abzutrennen sei. Von seinen Reisen brachte Schumann seine Jagderlebnisse auf mehreren tausend Metern Filmstreifen mit. Seine für damalige Verhältnisse spektakulären Aufnahmen führte er auch im Reichskanzlerpalais vor. Um seine Filme darüber hinaus gewinnbringend zu vermarkten, gründete er 1913 die Deutsche Jagdfilmgesellschaft. Insgesamt veröffentlichte seine Gesellschaft drei Jagdfilme sowie einen Spielfilm aus den deutschen Kolonien.

Das koloniale Filmvergnügen in Schöneberg wurde dabei immer wieder auch kostenlos angeboten, um für eine möglichst breite Öffentlichkeit zugänglich zu sein. Veranstalter dieser Kinoerlebnisse war die 1913 gegründete Kinematographische Studiengesellschaft, für die auch Schumann immer wieder Filmvorführungen anbot. Ziel der Studiengesellschaft war es, Lehr-, Dokumentar- und Expeditionsfilme zu verbreiten. Rund zweimal im Monat lud die Studiengesellschaft bei freiem Eintritt in den Mozartsaal des Neuen Schauspielhauses ein. Die Kinematographische Studiengesellschaft wurde zu einem Sammelbecken für all jene, die sich für koloniale Filme interessierten.

Schumann gehörte zu den ersten Filmemachern, die die deutsche Öffentlichkeit und dabei eben auch die Schöneberger Bürger_innen mit Bildern aus den Kolonien versorgte. Er etablierte einen neuen Stil des Kolonialfilms, der die Kolonien nicht wie viele andere als aufstrebenden und attraktiven Ort für Investor_innen zeigte, sondern in seinen Filmen wurden die Kolonien zum Schauplatz dramatischer Abenteuer. Er sprach die Emotionen der Zuschauenden an und indem er sich als Person ins Zentrum stellte, bot er den Zuschauenden auch die Möglichkeit, sich mit ihm und seinen Abenteuern zu identifizieren.

Zu Beginn des ersten Weltkrieges trat Schumann euphorisch in die Armee ein und wurde bereits im September 1914 im Kampf vermisst. Seine melodramatischen Filme hatten weiterhin Bestand. Für die Deutsche Kolonialgesellschaft waren Schuhmanns Filme auch ein Mittel, um in den 1920er Jahren die koloniale Gesinnung in Deutschland wiederzubeleben.

  • Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Kapitels aus der Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“, die das Schöneberg Museum vom 19.5. bis 29.10.2017 zeigte.

 

provided by Museum Tempelhof-Schoeneberg

Filmankündigung der deutschen Jagd-Film-Gesellschaft (Lichtbildbühne, Jahrgang 1913, Nr. 47)

Außenansicht des Cines (Museen Tempelhof-Schöneberg)

Malin Winter

Johanna Strunge

ORT

Cines

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Nollendorfplatz 4

Zitieren des Artikels

Malin Winter Johanna Strunge Kolonialfilmunterhaltung am Nollendorfplatz. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/kolonialfilmunterhaltung-am-nollendorfplatz/ (12.06.2024).

Literatur & Quellen

Wolfgang Fuhrmann: Imperial Projections. Screening the German Colonies, New York/Oxford 2015.

Tobias Nagl: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München 2009.

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