Borsig: Lokomotiven für deutsche Kolonien – Beispiel Kamerun
Die Beiträge des Museums Reinickendorf, die auf der Seite „Kolonialismus begegnen“ präsentiert werden, wurden sorgfältig im Kontext der Sonderausstellung „Koloniale Spuren in der Industriegeschichte Reinickendorfs“ kuratiert. Die Beiträge wurden eingehend geprüft und für die digitale Präsentation überarbeitet. Wir empfehlen, den umfassenden einleitenden Text zur kolonialen Vergangenheit Reinickendorfs (Link) vorab zu lesen.
Lokomotiven für deutsche Kolonien
Firma: A. Borsig GmbH
Gründung: 1837 in Berlin von August Borsig (1804-1854)
Reinickendorf: ab 1896 in Tegel
Produktion: Lokomotiven, Maschinen
Produktivität: 1918 wird die 10.000ste Lokomotive ausgeliefert
Mitarbeiter: 1912 ca. 8.000
Die Firma Borsig gehörte zu den führenden deutschen Lokomotivherstellern, die ihre Produkte in die ganze Welt lieferten. Von 1900 bis 1911 lieferte Borsig Lokomotiven in die deutschen Kolonien Deutsch-Ostafrika (heutiges Tansania, Burundi und Ruanda), Kamerun und Togo sowie in das (formal als „Pachtgebiet“ bezeichnete) Gebiet Kiautschou in China.
Geschichte des Unternehmens
1837 gründete der Maschinenbauer August Borsig in Berlin-Mitte eine Eisengießerei, in der zunächst Reparaturen an englischen Dampflokomotiven durchgeführt wurden, ehe Borsig mit dem Bau eigener Lokomotiven begann. In Moabit errichtete Borsig 1847 ein eigenes Eisenwerk, um das florierende Geschäft weiter ausbauen zu können. Bis 1853 übernahm Borsig im Königreich Preußen die Monopolherstellung im Lokomotivgeschäft. Im selben Jahr lieferte das Unternehmen die ersten Maschinen in das europäische Ausland. 1854 starb der Firmengründer und sein Sohn Albert (1829-1878) übernahm die Geschäfte. Als Albert Borsig 1878 starb, ging die Leitung der Firma bis 1894 auf ein Kuratorium über, da keiner seiner drei Söhne Ernst (1869-1933), Arnold (1867–1897) und Conrad (1873-1945) volljährig war. (1) Im Jahr 1896 wurde schließlich ein Grundstück in Tegel erworben und das Unternehmen von Moabit hierher verlegt. Bereits 1898 war die erste Fabrikhalle fertiggestellt. Das moderne Werk mit 220.000 m² lag verkehrsgünstig an der Havel und verfügte über einen Gleisanschluss. (2) Borsig wurde zum zweitgrößten Lokomotivhersteller der Welt. In der Zeit der Lieferungen von Borsig-Lokomotiven in die Kolonien (1900 bis 1911), bestimmten die beiden jüngeren Brüder Arnold Borsigs, Ernst (1869-1933) und Conrad (1873-1945), als Inhaber die Geschicke des Familienunternehmens. Zusammen mit seinem Bruder Ernst wurde Conrad Borsig 1909 in den preußischen Adelsstand erhoben. Beide Borsig-Brüder gehörten zu diesem Zeitpunkt zu den reichsten Männern Preußens. (3) Im Zuge der Weltwirtschaftskrise brach das Lokomotivgeschäft 1931 zusammen und wurde von der AEG übernommen. Die Familie zog sich aus dem Unternehmen zurück. (4)
Lieferung von Lokomotiven in deutsche Kolonien
Als führender deutscher Lokomotivhersteller lieferte die Firma Borsig ihre Produkte in die ganze Welt – auch in verschiedene deutsche Kolonien. Insgesamt wurden 27 Personen- und Güterzuglokomotiven dorthin geschickt. Die ersten vier dieser 27 Lokomotiven gingen 1900 an die „Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft“ (China), an der Arnold Borsig selbst Anteile hielt. Arnolds Bruder Conrad war zudem an der Ostafrikanischen Bergwerks- und Plantagen-AG beteiligt. Zweck dieser Gesellschaft war die Errichtung und der Betrieb von Bergwerken, Plantagen und Handelsunternehmungen in Afrika sowie die Beteiligung an anderen kolonialen Unternehmungen. (5) Die umfangreichsten Lokomotivlieferungen gingen in die afrikanischen Kolonien. Die „Deutsche Kolonial-Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft“ (DKEBBG) schloss mit dem Deutschen Reich, vertreten durch die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Verträge über den Bau von Eisenbahnstrecken ab. 1909 wurde dann an die DKEBBG eine Lokomotive von Borsig für den Einsatz in der Kolonie Togo geliefert. Ebenfalls 1909 und 1910 gingen neun Lokomotiven nach Deutsch-Ostafrika an die „Ostafrikanische Eisenbahn-Gesellschaft“ Berlin. Sie wurden bei der Ostafrikanischen Zentralbahn eingesetzt, die mit 1250 Kilometern zugleich die längste von Deutschen in den Kolonien gebaute Eisenbahnstrecke war. (6)
Zwölf Lokomotiven, darunter die hier abgebildete, lieferte Borsig 1911 nach Kamerun in Westafrika für die Kameruner Mittellandbahn, deren Bau 1908 begonnen hatte. Auftraggeber war ebenfalls die DKEBBG. (7)
Die Kolonie Kamerun
Zeitraum deutsche Kolonie: 1884-1916
Fläche: 790.000 km² (Bundesrepublik Deutschland: 357.000 km²); heute v.a. Kamerun und Teile Nigerias
Bevölkerung: 1913 ca. 3,8 Millionen, ca. 1.000 Deutsche
Wirtschaft: Handels- und Plantagenwirtschaft, Kakao, Kautschuk, Elfenbein; Import v.a. von Eisenbahnanlagen, Maschinen
Militär: Um 1914 ca. 60 deutsche Offiziere, knapp 100 Unteroffiziere und über 1.500 afrikanische Soldaten (Askari)
Die deutsche Kolonie Kamerun lag im westlichen Zentralafrika und umfasste das Gebiet des heutigen Kamerun sowie den östlichen Teil Nigerias. Die Einwohner Kameruns gehörten unterschiedlichen Ethnien an, am bedeutendsten waren das Königreich Bafut und das Königreich Bali. (8) 1884 schloss Gustav Nachtigal als Reichskommissar für die Westküste Afrikas mit zwei Führern der Duala einen „Schutzvertrag“ und stellte das Land unter deutsches Protektorat. Auf der „Kongokonferenz“ von 1885 wurden die Grenzen der Kolonie festgelegt. (9) Ökonomisch war Kamerun Deutschlands wichtigste Kolonie. Kautschuk für die Elektro- und Automobilindustrie, Palmöl und Kakao gehörten zu den Produkten, die aus dem Hinterland an die Küste transportiert wurden. (10) Dazu baute die DKEBBG ab 1908 von Duala nach Éséka und die Kameruner Eisenbahngesellschaft 1906 für die Nordbahn eine Eisenbahnstrecke von Duala nach Nkongsamba. (11) Die Eisenbahn sollte den Transport von Gütern aus dem Landesinneren an die Küste schneller und billiger machen, aber auch deutsche Produkte schnell ins Landesinnere bringen. (12) Die Einrichtung der Plantagen beruhte häufig auf Zwangsarbeit und einer rücksichtslosen Landpolitik, die angeblich „herrenloses“ Land konfiszierte und an große Kapitalgesellschaften verkaufte. (9) Die Plantagenarbeiter litten unter schlechten Arbeitsbedingungen und einem kolonialen Rechtssystem, das unter anderem die Prügelstrafe vorsah. Für Kamerun ist ein Anstieg von Prügel- und Rutenstrafen zwischen 1900 und 1913 von 315 auf 4800 dokumentiert. Die deutschen Kolonialbeamten und Juristen sahen die Prügelstrafe als unumstrittenes Instrument der Kriminalpolitik, Disziplinierung und Erziehung im Rahmen der deutschen Kolonialherrschaft. (13) Während der deutschen Kolonialzeit kam es zu mehreren militärischen Auseinandersetzungen. Deutschland hatte eine „Schutztruppe“ aufgestellt, die auch zur Ausdehnung des deutschen Einflussgebietes eingesetzt wurde und deren militärische Hauptlast von einheimischen Soldaten, so genannten „Askari“, getragen wurde. (14)
Neu-Tegel
Im Westen der Kolonie gab es nahe der Stadt Buea einen Ort namens „Neu-Tegel“. Er befand sich auf dem Gelände der Westafrikanischen Pflanzungs-Gesellschaft „Victoria“. Der Name geht auf Margarethe Leuschner, Tochter des Tegeler Apothekers Adalbert Lehmann, zurück. Sie hatte 1896 den Stationsleiter von Buea, Franz Leuschner (1865-1933) geheiratet und war mit ihm nach Kamerun gegangen.(15)

Fotografie von August Borsig, undatiert. Quelle: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, VI.1

Güterzug Dampflokomotive für die Kameruner Mittellandbahn, Nr. 107, Borsig, Fabriknummer 7687, ausgeliefert 29.04.1911, Spurweite 1000 mm, Borsig Lokomotivbau, Werkfotografie/Negativ Glasplatte, 1911 . Quelle: Bildarchiv Verkehrsmuseum Dresden

Karte der ehemaligen deutschen Kolonie "Kamerun mit Togo", Max Moisel, im Auftrag des Reichskolonialamts herausgegeben, 1913. Quelle: Bibliothèque nationale de France, GE C-4369

Borsigtor mit Verwaltungsgebäude von Südost, Stand 2023. Quelle: Fotograf Burkhard Schulz © Museum Reinickendorf

Produktions- und Lieferliste der Firma Borsig. Hervorgehoben sind Lieferungen von Lokomotiven, die vor 1914 nach Deutsch-Kamerun gingen. Quelle: Kutschig, Dietrich: Lokomotiven von Borsig, 1985, S. 313.
Facts & Files
ORT
Industriegelände zwischen Berliner Straße und Kremmener Eisenbahnlinie in TegelHEUTE
Am Borsigturm, 13507 Berlin-TegelZitieren des Artikels
Facts & Files : Borsig: Lokomotiven für deutsche Kolonien – Beispiel Kamerun. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/lokomotiven-fuer-deutsche-kolonien-beispiel-kamerun/ (05.11.2024).
Literatur & Quellen
(1) Landesarchiv Berlin, A. Borsig Zentralverwaltung GmbH: Gesellschaftsvertrag der offenen Handelsgesellschaft A.Borsig Berlin vom 25. April 1894 und Abänderungen, A Rep. 226, Nr. 1155.
(2) Helmut Lindener und Jörg Schmalfuß: 150 Jahre Borsig, Berlin-Tegel, Berlin 1987, S. 15.
(3) Rudolf Martin: Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Preußen, Berlin 1912.
(4) Matthias Koch: Borsig – Lokomotiven für die Welt, Freiburg 1985, S. 6.
(5) vgl. Dietrich Kutschik: Lokomotiven von Borsig. „Eine Darstellung der Lokomotivgeschichte der Firma A. Borsig und der Nachfolgefirmen, Berlin 1985b, S. 267-313.
(6) Landesarchiv Berlin, A Rep. 226, Nr. 364.
(7) Hannes Schneider: Die Eisenbahnen in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten in Afrika, Museum deutsche Eisenbahnen – Balingen, S. 22.
(8) Jan Antosch: Die deutsche Kolonie Kamerun, URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/aussenpolitik/die-deutsche-kolonie-kamerun.html, (letzter Zugriff: 2023-07-11).
(9) Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H.Beck Wissen, Band 2448, 4., durchgesehene Auflage, Originalausgabe, München 2019, S. 35f.
(10) Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H.Beck Wissen, Band 2448, 4., durchgesehene Auflage, Originalausgabe, München 2019, S. 36.
(11) Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, II. Band H-O, Leipzig 1920., Bd. III, Stichwort Victoria-Pflanzungsbahn, S. 620.
(12) Francesca Schinzinger: Die Bedeutung der Eisenbahnen in den deutschen Kolonien für die deutsche Wirtschaft: Wirtschaft. Festschrift für Hans Pohl zum 60. Geburtstag, S. 360–376.
(13) Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam Sachbuch, Aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Ditzingen 2021, S.71f.
(14) Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam Sachbuch, Aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Ditzingen 2021, S.73f.
(15) Bundesarchiv Berlin: Neu-Tegel, Höhenkulturstation. Austausch eines Teils des botanischen Gartens in Victoria gegen ein Grundstück der Westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft „Victoria“ in Moliko für Versuchspflanzungen, R 175-I/480; „Errichtung einer Höhenkulturstation in Neu-Tegel als Zweigstelle der Versuchsanstalt für Landeskultur“. In Bundesarchiv Berlin: Landwirtschaft und allgemeine landwirtschaftliche und botanische Versuche in den Bezirken > Buea, Bd. 3, R 175-I/783.
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