Das sogenannte Burenviertel

Straßennamen zeigen immer Konjunkturen politischer Regime und des öffentlichen Gedenkens an. In Karlshorst wird das am Beispiel des sogenannten Burenviertels deutlich. Es befand sich rund um die damalige Burenringstraße, auf der Höhe des heutigen Römerweges.

Der Konflikt zwischen den niederländischen Kolonisten (genannt „Buren“), die die Region rund um das Kap der Guten Hoffnung seit dem 17. Jahrhundert besetzten, und den späteren britischen Kolonisten eskalierte nach dem Fund von Bodenschätzen wie Gold und Diamanten zum Ende des 19. Jahrhunderts. Hatten die europäischen Siedler bereits die Lebensräume und -grundlagen der indigenen Bevölkerung in den Gebieten des südlichen Afrikas zunehmend vernichtet, ging es nun um die Ausbeutung mineralischer Ressourcen. Dieser Konflikt mündete in einem Krieg zwischen der britischen Kolonialarmee und burischen Milizen von 1899 bis 1902. Die britische Seite gewann und festigte anschließend ihre Macht über das gesamte von europäisch-stämmigen Kolonisatoren besetzte Territorium. Indigene Gruppen, die sich zunächst in der Hoffnung auf größere Rechte britischen Truppen angeschlossen hatten, wurden enttäuscht.[1]

Die deutsche Öffentlichkeit sah den Konflikt nicht als Streit zweier Kolonialgesellschaften um Ressourcen auf fremdem Territorium. Vielmehr ordnete sie den Buren die Rolle des Davids in seinem Kampf gegen den Goliath Großbritannien zu. Die burischen Generäle Christiaan de Wet (1854–1922) und Louis Botha (1862–1919) ehrte man um 1905 durch Straßenbenennungen beim Ausbau der Siedlung Karlshorst.[2]

Zwischen 1905 und 1976 hieß die Siegfried-Widera-Straße „Dewetallee“ und die Rudolf-Grosse-Straße „Bothaallee“. Während die Dewetallee erst 1976 im Rahmen einer Welle von Straßenumbenennungen den Namen eines DDR-Grenzsoldaten erhielt, der 1963 bei einem Zwischenfall an der Berliner Mauer tödlich verletzt wurde,[3] benannte man die Bothaallee bereits bald wieder um. Louis Botha war nämlich 1915 als Kommandeur südafrikanischer Streitkräfte an der Seite Großbritanniens an der Eroberung der deutschen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ beteiligt gewesen. Auch hatte sich Botha an der Niederschlagung eines pro-deutschen Aufstandes burischer Armeeangehöriger beteiligt. Damit fiel er in Deutschland in Ungnade. 1922 wurde die Bothaallee nach Victor Franke (1866–1936) benannt. Franke gehörte seit 1896 der „Kaiserlichen Schutztruppe“ in „Deutsch-Südwestafrika“ an und war aktiv in den Völkermord an den Hereros verwickelt. Er unterzeichnete später als Kommandeur der „Schutztruppe“ gegenüber Botha die Kapitulationsurkunde. Seit 1976 ist die Straße nach Rudolf Grosse (1905–1942), einem kommunistischen Widerstandskämpfer gegen das nationalsozialistische Regime, benannt. Grosse wurde von der SS nach langer Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen anschließend im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet.[4] 1995 erhielt die zwischenzeitlich Siegfried-Widera-Straße genannte Dewetallee ihren heutigen Namen Rheinpfalzallee.

Eine dritte Straße im selben Teil von Karlshorst war ebenfalls bis 1976 nach einem Burenführer benannt: die Ohm-Krüger-Straße. Die heutige Johannes-Zoschke-Straße trug nach 1908 für sieben Jahrzehnte den Namen des ehemaligen Präsidenten der von Buren verkündeten Republik Transvaal im heutigen Südafrika. Die Republik Transvaal war ein Kolonialstaat, in dem die indigene Bevölkerung ausgebeutet wurde. Der „Ohm Krüger“ (Onkel Krüger) genannte Stephanus Johannes Paulus Kruger gehörte zu ihren Gründern und hatte während des Burenkrieges im Ausland um Unterstützung gegen die Briten geworben. Im deutschen Reich, auch bei Kaiser Wilhelm II. persönlich, fand er Fürsprecher. Hans Zoschke wurde als NS-Widerstandskämpfer 1942 im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet.[5]

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Das sog. Burenviertel, mit der Dewet- und Ohm-Krüger-Straße. Ausschnitt aus dem Stadtplan von 1931, Landesarchiv Berlin, Histomap Berlin.

Clemens Maier-Wolthausen

ORT

Dewetallee/Ohm-Krüger-Straße

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Rheinpfalzallee/Johannes-Zoschke-Straße

Zitieren des Artikels

Clemens Maier-Wolthausen : Das sogenannte Burenviertel. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: http://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/das-sogenannte-burenviertel/ (12.05.2023).

Literatur & Quellen

[1] Vgl. Marks, Shula. „War and Union, 1899-1910“, in: Carolyn Hamilton, Bernard Mbenga, und Robert Ross (Hg.), The Cambridge History of South Africa, 2. 1885–1994, Cambridge, New York 2010, S. 157–210.

[2] Zum Viertel und seinen Straßen: Ahlfänger, Jörg H.: Unbekannte Straßennamen in Karlshorst (II – Das Burenviertel); in: Karlshorster (2010), H. 26, S. 4.

[3] Siegfried Widera, Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschlandradio und Stiftung Berliner Mauer, Chronik der Mauer, https://www.chronik-der-mauer.de/todesopfer/171410/widera-siegfried.

[4] Rudolf Grosse, Bezirksamt Lichtenberg von Berlin Museum Lichtenberg im Stadthaus, https://www.museum-lichtenberg.de/index.php/ns-widerstand-und-verfolgung/namensliste/432-rudolf-grosse-1905-1942 (letzter Zugriff am 21.02.2023).

[5] Johannes ‚Hans‘ Zoschke, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Aktives Museum e. V., Gedenktafeln in Berlin, https://www.gedenktafeln-in-berlin.de/gedenktafeln/detail/johannes-hans-zoschke/2240 (letzter Zugriff am 21.02.2023).

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