AMAG: Postkarten für deutsche Kolonien – Beispiel Kiautschou

Die Beiträge des Museums Reinickendorf, die auf der Seite „Kolonialismus begegnen“ präsentiert werden, wurden sorgfältig im Kontext der Sonderausstellung „Koloniale Spuren in der Industriegeschichte Reinickendorfs“ kuratiert. Die Beiträge wurden eingehend geprüft und für die digitale Präsentation überarbeitet. Wir empfehlen, den umfassenden einleitenden Text zur kolonialen Vergangenheit Reinickendorfs (Link) vorab zu lesen.

Postkarten für die Kolonien

Firma: Albrecht & Meister AG (AMAG)
Gründung: 1904 in Berlin von Paul Meister u.a.
Reinickendorf: ab 1908 Produktion in der Holländerstraße 31/34
Produktion: Luxuspapier, Bildkarten

Bildpostkarten wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Massenmedium und Sammelobjekt. Sie kamen global, auch in den Kolonien, zum Einsatz, um mit den Daheimgebliebenen zu korrespondieren. Die Firma Albrecht & Meister AG (AMAG) produzierte ab 1908 in Reinickendorf Bildpostkarten, die in die Kolonien verkauft und in das Deutsche Reich zurückgeschickt wurden. Sie wurden zu einem Symbol der Globalisierung und der kolonialen Expansion.
Die AMAG wurde 1904 zur Übernahme und Fortführung der Albrecht & Meister GmbH in Berlin gegründet. 1908 zog die Aktiengesellschaft in ein neues Gebäude in Reinickendorf-Ost, Holländerstraße 31/34. (1) Für die AMAG waren die Ansichts- und Glückwunschpostkarten ein wichtiges Produkt. 1912 schaltete die AMAG, die sich auf die Herstellung von Luxuspapieren, Kalendern, Zelluloidartikeln, Reklameartikeln und Bildpostkarten spezialisiert hatte, eine doppelseitige Anzeige im „Adressbuch für Deutsch-Neuguinea, Samoa, Kiautschou“. (2) Darin warb sie für ihre Produkte, vor allem aber suchte sie Vertreter für die Kolonien. Diese sollten vermutlich Bildpostkarten und andere Produkte an Angehörige der Kolonialverwaltung und der „Schutztruppen“ vertreiben. (3) 1914 wurden die Aktien der AMAG von der Berlin-Neuroder Kunstanstalten AG übernommen, das Unternehmen aber selbständig weitergeführt, die Grundstücke in Reinickendorf wurden jedoch aufgegeben. (4) Das Gebäude in der Holländerstraße bezog 1927 die AEG. Es steht heute unter Denkmalschutz.

Die Kolonie Kiautschou

Deutsche Kolonie: 1898–1914
Fläche: 551,7 km2, im Süden der Shandong-Halbinsel im nördlichen Bereich der chinesischen Ostküste
Bevölkerung: 190.000 Einwohner, davon 2.401 deutsche Soldaten, 1.855 zivile Deutsche (1913)
Wirtschaft: Handel, Stützpunkt der Kaiserlichen Marine in Ostasien
Militär: 2.401 Soldaten (1913)

Das von China an das deutsche Kaiserreich verpachtete Gebiet in der Bucht von Jiāozhōu (dt. „Kiautschou“) befand sich im Süden der Shandong-Halbinsel, im nördlichen Bereich der chinesischen Ostküste. Anders als die übrigen deutschen Kolonien war Kiautschou als reine Handelskolonie und Marinestützpunkt errichtet worden. (5)
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Großbritannien und andere europäische Mächte die Öffnung Chinas als Absatzmarkt von der chinesischen Regierung erzwungen. In der Folge wurden Ende des 19. Jahrhunderts so genannte „Pachtgebiete“ besetzt. Auch das Deutsche Kaiserreich agierte in Folge dessen in China als politische Großmacht, um den eigenen Einfluss zu erweitern. Die von 1859 bis 1862 unter der Leitung von Friedrich Graf zu Eulenburg durchgeführte Preußische Ostasienexpedition, deren Ziel der Abschluss von Verträgen mit Japan und China war, erreichte im März 1861 China. Im September 1861 konnte Eulenburg einen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag mit China unterzeichnen, der auch die Erlaubnis zur Errichtung einer diplomatischen Vertretung in Peking beinhaltete. Die Errichtung eines deutschen Militärstützpunktes wurde von der chinesischen Regierung jedoch unterbunden. Trotz dessen empfahl der Geograf Ferdinand Freiherr von Richthofen wenige Jahre später, nach ausgedehnten Reisen durch China, in einer an Otto von Bismarck gerichteten Denkschrift die Shandong-Halbinsel für die Errichtung eines deutschen Marinestützpunktes. Nach der Besetzung des Ortes Tsingtau in der Bucht von Kiautschou durch deutsche Marinetruppen im November 1897 verpachtete China am 6. März 1898 das Gebiet zwangsweise für 99 Jahre an das Deutsche Reich und gewährte gleichzeitig Bergbaurechte und das Recht zum Bau einer Eisenbahnlinie in der Provinz Shandong. (6)
Der Alltag in Tsingtau war von ethnischer Segregation geprägt. Es gab getrennte Rechtsordnungen und Stadtviertel. Teile der chinesischen Bevölkerung arbeiteten als „Kulis“ (ungelernte Billiglohnarbeiter), die auch in Deutsch-Ostafrika, in Samoa und Neuguinea eingesetzt wurden. (7)
 Die räumliche und soziale Teilung zwischen chinesischer Bevölkerung einerseits und Europäern, Amerikanern und Japanern andererseits fand eine Fortsetzung im Rechtssystem. So wurden ab dem 14. Juli 1900 für die einheimischen Bewohnerinnen und Bewohner Tsingtaus Regeln in der so genannten „Chinesenordnung“ festgeschrieben, deren Zuwiderhandlung rigoros bestraft wurde. Bereits in der am 1. Juli 1898 von kaiserlichen Gouverneur Rosendahl unterzeichneten „Verordnung betreffend Dienstverletzungen chinesischer Arbeiter und Dienstboten“ vom 1. Juli 1898 hieß es: „Chinesen, die in einem Dienstverhältnis oder Arbeitsverhältnis stehen, können auf Antrag der Dienst- und Arbeitgeber wegen fortgesetzter Pflichtverletzung und Trägheit, wegen Widersetzlichkeit oder unbegründeten Verlassens ihrer Dienst- und Arbeitsstellen sowie wegen sonstiger erheblicher Verletzungen des Dienst und Arbeitsverhältnisses und Verleitung anderer dazu mit Geldstrafe bis zur halben Höhe des Monatslohnes, mit körperlicher Züchtigung bis zu 50 Hieben und, in Verbindung mit diesen Strafen oder allein, mit Freiheitsstrafen, nicht über 21 Tage, bestraft werden.“ Auseinandersetzungen und Repressionen bestimmten den Alltag in der Region. „Strafexpeditionen“, die mit dem Ziel der Durchsetzung des vertraglich konzessionierten Baus von Eisenbahnstrecken in den Jahren 1899 und 1900 eine Zerstörung von Dörfern und die Ermordung ihrer Einwohner bedeuteten, wurden 1899 und 1900 vom Gouverneur Paul Jaeschke geleitet: Im April 1899 brannten deutsche Soldaten das Dorf Hanjiacun nieder, im Juni erstürmten Soldaten des III. Seebataillons die Dörfer Tidong und Liuge, 25 Menschen starben, im Herbst 1900, während des Krieges gegen die Yihetuan, wurden drei weitere Dörfer, in denen 450 Menschen getötet wurden, überfallen. Diese „Strafexpeditionen“ des III. Seebataillons trugen ebenso wie das aggressive Auftreten deutscher katholischer Missionare im Umland Jiaozhous maßgeblich zur Entstehung der Widerstandsbewegung der „Boxer“ (Yihetuan oder „Kämpfer für Gerechtigkeit und Harmonie“) bei, die sich gegen die europäische Dominanz und vor allem gegen die Tätigkeit der Missionen richtete. (8)
Eine wesentliche Grundlage für die wirtschaftliche Erschließung der Kolonie war der Bau der Schantung-Eisenbahn, an der auch die Reinickendorfer Firma August Borsig GmbH mit kleineren Aktienpaketen beteiligt war. (9)
Gegen Ende der Kolonialzeit überstiegen in Kiautschou die Importe die Exporte um 20 Prozent. Damit war Kiautschou, neben Deutsch-Südwestafrika, eine der teuersten Kolonien des Deutschen Reiches. (10)

provided by Museum Reinickendorf

AMAG-Postkarte mit dem Motiv „Schöne Leserin auf Tigerfell am Kamin“, 1919.
 Quelle: Archiv Museum Reinickendorf

Werbeanzeige Albrecht & Meister, 1912, Adressbuch für Deutsch-Neuguinea, Samoa, Kiautschou
. Quelle: Adressbuch für Deutsch-Neuguinea, Samoa, Kiautschou, Hermann Paetel Verlag GmbH

Übersichtskarte von Tsingtau und Umgebung, 1905, 1:30 000, gezeichnet und graviert für das Verzeichnis und die Chroniken von Bartholomäus
. Quelle: Nationalbibliothek von Frankreich / Europeana

Fotografie vom Boxeraufstand. Japanische und deutsche Soldaten nehmen an einer Hinrichtung eines „Boxers“ teil, 1900. Diese Widerstandsbewegung wurde mit brutalen Mitteln bekämpft.
 Quelle: WikiCommons (gemeinfrei)

Bildunterschrift: Ansicht des 120m langen, ehemaligen Fabrikgebäudes von Süden. Links zu sehen ist die Aroser Alle, rechts die Holländerstraße, Stand 2023.
 Quelle: Fotograf Burkhard Schulz © Museum Reinickendorf

Facts & Files

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Zitieren des Artikels

Facts & Files : AMAG: Postkarten für deutsche Kolonien – Beispiel Kiautschou. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/amag-postkarten-fuer-deutsche-kolonien-beispiel-kiautschou/ (05.11.2024).

Literatur & Quellen

 

(1) Albrecht & Meister AG: Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften 1914, S.1135–1136f.

(2) Adressbuch für Deutsch-Neuguinea, Samoa, Kiautschou, Band 12, Berlin 1912, S.68f.

(3) Felix Axster: “ . . . will try to send you the best views from here”: Postcards from the Colonial War in Namibia (1904–1908), Volker M. Langbehn (Hg.), German Colonialism, Visual Culture, and Modern Memory, S. 55–70.

(4) Ebd.; Berliner Börsen-Zeitung: Bekanntmachung zu Albrecht & Meister, S. 3.

(5) Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H.Beck Wissen, Band 2448, 4., durchgesehene Auflage, Originalausgabe, München 2019, S. 39.

(6) Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam Sachbuch, Aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Ditzingen 2021, S.37. Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin (Hrsg.): Spuren des Kolonialismus, Der private Nachlass des Wandervogels Karl Fischer, 1. Auflage, Berlin 2021, S. 19.

(7) Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H.Beck Wissen, Band 2448, 4., durchgesehene Auflage, Originalausgabe, München 2019, S. 65.

(8) Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam Sachbuch, Aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Ditzingen 2021, S. 37.

(9) Beteiligung von Borsig: Schantung 108.000 M, Deutsch-Chinesische 20.000 M Landesarchiv Berlin (LAB), A. Borsig Zentralverwaltung GmbH: Gründung und Gewinnangelegenheiten der Deutsch-Chinesischen Eisenbahn-Gesellschaft, A Rep. 226, Nr. 331.

(10) Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H.Beck Wissen, Band 2448, 4., durchgesehene Auflage, Originalausgabe, München 2019, S. 39.

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