Koloniale Handelsgeschäfte in Marzahn-Hellersdorf: Die Elfenbeinbleiche in Kaulsdorf

Auf Basis eines Textes und umfangreicher Recherchen der Kaulsdorfer Ortschronistin Karin Satke

 

An der heutigen Straße Alt-Kaulsdorf 26-30 betrieb die Theodor Francke GmbH von 1910 bis 1945 eine Elfenbeinbleiche. Hier wurde das aus Kolonien importierte Elfenbein in vier großen Bleichhallen auf dem sogenannten Sonnenhügel durch Chemikalien und Sonneneinstrahlung gebleicht. Die Elfenbeinbleiche zeigt auf, wie die Handelsgeschäfte im Deutschen Reich mit dem Kolonialismus verbunden waren und diese auch in damals ländlicheren Räumen wie in Kaulsdorf Spuren hinterließen.

Die (Vor-)Geschichte der Theodor Francke GmbH

Gegründet wurde die Firma Theodor Francke bereits 1866.[1] Nachdem der Großvater des Gründers, Johann Friedrich David Francke, schon seit 1791 im eigenen Hause in Berlin-Mitte unmittelbar neben dem heutigen Schlossplatz[2], mit in- und ausländischen Hölzern und Elfenbein gehandelt hatte, ging das Geschäft im Jahr 1817 an seinen Sohn Johann Gottfried David Francke über. Er erwarb Grundstücke in der Holzmarktstraße 35 und in der Mühlenstraße 51. Bereits im Jahr 1836 belief sich laut Versicherungspolice der Lagerbestand von Elfenbein in ganzen Zähnen und geschnittenen Platten und Stücken auf einen Wert von 4.000 Talern. Sieben Jahre nach dem Tod von Johann Gottfried David Francke kam es zu einer Trennung der Geschäftsfelder: Sein Sohn Theodor kaufte 1866 das Grundstück Schmidtstraße 25 im heutigen Kreuzberg und betrieb dort in größerem Maße eine Elfenbein- und Furnierschneiderei und einen Handel mit allerhand Holzarten.[3]

Eine neue Bleichmethode und die Bleichhallen in Kaulsdorf

Knappe neun Jahre später, im Jahr 1875, übernahm Emil Dreyer die Geschäftsführung des Elfenbeingeschäfts und führte eine neue Bleichmethode ein. Statt wie bisher die geschnittenen Elfenbeinplättchen, die vor allem als Klavierbelagstasten verwendet wurden, in Petroleum zu bleichen, benutzte er Wasserstoffsuperoxyd als Bleichmittel und zum Waschen des Bleichstaubes Säuren. Anschließend wurden die Plättchen in Rahmen gespannt und in den Bleichhallen der Sonne ausgesetzt. Durch das dreimalige Abwechseln von Bleiche und Sonneneinstrahlung wurde so ein reines Weiß erzielt.[4] Da die Kapazität der in Berlin vorhandenen Bleichhäuser für den steigenden Umsatz der Firma nicht mehr ausgereichten, errichtete die Firma zunächst auf den Francke’schen Ländereien in der Berliner Straße 27-30 und 86-90, dem heutigen Tempelhofer Damm, drei „geräumige je 50 Meter lange[n] Glashäuser[n].“[5]Im Sommer 1910 erwarb der Geschäftsführer Emil Dreyer dann das 32.112 m²[6] große Grundstück in Kaulsdorf von der Gutsbesitzerin Elise Voigt.[7] Nach Erteilung der Baugenehmigung durch die Gemeinde begann der Bau des großen Wohn- und Geschäftshauses. Im hoch gelegenen hinteren Bereich des Grundstückes entstanden in zwei Bauabschnitten vier neue Bleichhallen, die deutlich größer waren als die in Tempelhof. Die vier hintereinander angeordneten Hallen am Barnimhang waren mit ihren Glasflächen nach Süden ausgerichtet. In ihnen konnten gleichzeitig 7.000 Sätze Klavierbelagtasten der einfallenden Sonne ausgesetzt werden.[8] Der Geschäftsbetrieb in Kaulsdorf begann im Winter 1910/1911, nur kurz darauf musste der Betrieb in Tempelhof eingestellt werden. Das in der Schneiderei in der Schmidtstraße 24/25 in Plättchen geschnittene Elfenbein wurde fortan nach Kaulsdorf transportiert und auf dem Sonnenhügel gebleicht.

Der Handel mit Elfenbein: Koloniale Ausbeutung

Schon 1878 präsentierte die Theodor Francke GmbH auf der ersten Berliner Gewerbeausstellung ihre Produktpalette als „imposante Elfenbeinschau“. Der Ausbau der Firma hing eng mit dem Aufschwung des Elfenbeinhandels zusammen.[9] Insbesondere die Klavierbelagtasten fanden immer breitere Verwendung; zusätzlich fertigte die Firma Fächer, Stock- und Messergriffe, Billardkugeln und Kämme an – diese Produkte machten den Hauptteil des Elfenbeinverbrauchs im 19. Jahrhundert aus.[10] Während der ersten Hochkonjunktur erwirtschaftete die Firma um 1913 einen Gesamtumsatz von 2 Millionen Mark und die Belegschaft bestand aus insgesamt 96 Personen.[11] An der Absatzsteigerung hatten vor allem die beiden Berliner Pianohersteller ‚Julius Blüthner‘ und Hoflieferant ‚Carl Bechstein‘ großen Anteil, denn in Folge der qualitativen Verbesserungen im Klavierbau war auch der Kauf von Klavieren populärer geworden.

Das Produkt Elfenbein gehörte zu einem der zentralen importierten kolonialen Rohstoffe und war eng mit kolonialer Ausbeutung verbunden. Schon bevor das Deutsche Reich 1884 begann, Gebiete offiziell als Kolonien zu unterwerfen, gehörte Elfenbein zu den „begehrten Handelsgütern.“ Europäische Firmen, wie die Firma C. Woermann, die ab 1868 ihre erste Faktorei an der Küste Kameruns errichtete, importierten Güter wie Elfenbein, Kautschuk, Palmöl, Kokos, Bananen und Erdnüsse.[12]

Im Zuge des deutschen Kolonialismus wurde Elfenbein auch verstärkt aus den deutschen Kolonien ausgeführt: In den 1890er Jahren wurden laut amtlicher Statistik alleine aus den deutschen Kolonien in Afrika jährlich bis zu 208.000 kg Elfenbein exportiert.[13] Auch aus anderen afrikanischen Kolonien wurde Elfenbein exportiert: Ganze Elfenbeinzähne gelangten in die Häfen von London, Liverpool, Rotterdam und später nach Antwerpen. Hier wurden große Bestände eingelagert und in regelmäßigen Auktionen an die Ankäufer versteigert.[14]

Für die Theodor Francke GmbH führte ab 1909 Paul Dreyer die Geschäfte. Schon einige Jahre zuvor hatte er von seinem Vater Emil zunächst die Überwachung des Einkaufs und später den regelmäßigen Einkauf von Elfenbein übernommen. Dafür wurde insbesondere der Kontakt nach London wichtig: die Stadt war zu einem der zentralen Handelsplätze von Elfenbein geworden[15], aber er fuhr auch nach Antwerpen und gelegentlich nach Hamburg, Liverpool und Bordeaux.[16]

Die Verstrickungen der Firma in koloniale Raubkunst  

Über diese kolonialen Handelsketten hinaus taucht die Theodor Francke GmbH auch im Zusammenhang mit kolonialer Raubkunst auf. Die Kontakte der Firma nach London bezogen sich dabei nicht nur auf den Handel mit Elfenbein. Sie taucht 1897 in einem Bericht auf, in dem die Rede davon ist, dass ein Vertreter der „Elfenbein-Firma Theodor Francke“ dem bekannten Anthropologen und späterem Direktor des Königlichen Museums für Völkerkunde, Felix von Luschan von einer Auktion in London berichtete. Daraufhin habe von Luschan die Reise nach London angetreten und an der Auktion teilgenommen.[17]

Dass die Firma nicht nur vermittelte, indem sie Informationen weitergab, sondern ihre Vertreter auch selbst in den Handel mit kolonialer Raubkunst verwickelt waren, wird mit Blick auf die Bestände des heutigen Ethnologischen Museums deutlich: Hier finden sich Artefakte, bei denen die Firma als Vermittler gelistet ist. So unter anderem bei Benin-Bronzen, die durch das britische Militär aus dem Königspalast in Benin City gewaltsam entwendet wurden – und sich teilweise bis heute unrechtmäßig im Besitz europäischer Museen befinden. Die Vermittlerfunktion der Firma bezog sich – wie in den Eingangsbüchern den Korrespondenzen des Museums verzeichnet – auf den Erwerb im Auftrag des Museums: Im Jahr 1899 stellte die Firma dem Museum diese Leistung in Rechnung.[18] Im gleichen Jahr schenkte sie dem Museum aber auch drei „Knochen-Amulette“.

Der Erste Weltkrieg und der „Kolonialrevisionismus“ in der Theodor Francke

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges brach der Umsatz der Firma ein. Zuerst wurde die Schneiderei in der Schmidtstraße, und dann die Bleichhallen in Kaulsdorf stillgelegt. Auch die Sortiererei beschäftigte nur noch die Hälfte des Personals. Als Deutschland nach Kriegsende durch den Versailler Vertrag die Kolonien aberkannt und unter ein Mandat des Völkerbundes gestellt wurden, wird auch der Import von Elfenbein aus den Kolonien unterbrochen. Trotzdem steigerte sich der Umsatz der Firma im Jahr 1925 sogar um 25% im Vergleich zur Vorkriegszeit: Das Elfenbein kaufte Paul Dreyer ab 1919 weiterhin in Antwerpen und ab 1920 in London. Ein eigenes Lager in Erbach/Odenwald wurde eingerichtet. Auch wenn der Rohstoff nicht mehr direkt aus den deutschen Kolonien kam, war die Firma weiterhin in koloniale Handelsketten verwickelt. Doch die Absatzkrise der Pianoindustrie im Zuge der Wirtschaftskrise ließ die Umsätze um 1928 wieder einbrechen. 1931 wurde der Betrieb in der Schneiderei erneut vorübergehend eingestellt, zwei Jahre später erreichte der Umsatz der Firma seinen Tiefstand. Nach einer kurzen Stabilisierung führten Verbote und Preisänderungen zu erheblichen Verlusten der Firma[19] und der erhoffte Anstieg des Umsatzes blieb nicht zuletzt seit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 aus.

Die Inhaber blickten in ihrer Jubiläumsschrift zum 75-jährigen Bestehens der Firma auf die Geschichte zurück. In der abgedruckten Rede Paul Dreyers, dem Verfasser der Jubiläumsschrift, beschreibt dieser die kritische Situation des Unternehmens. Am Schluss seiner Rede verkündet er jedoch voller Zuversicht: „Aber dafür wird uns nach siegreichem Ende dieses Krieges die Rückerstattung und Erweiterung unserer Kolonien und die Verbreiterung und Vergrößerung des deutschen Wirtschaftsraumes neue große Ziele stellen. Sie sollen uns gerüstet finden! Wir werden im Rahmen des Möglichen unsern mit vieler Mühe erkämpften Platz unter den Vordersten im Weltelfenbeinhandel und den ersten Platz in der deutschen Elfenbeinbranche zu behaupten wissen (…)“[20]. Es wird deutlich, wie eng für den Inhaber der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens mit der kolonialen Expansion verbunden ist.

Doch es kam anders: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sowohl der Firmensitz in der Schmidtstraße als auch die Bleichhäuser, der Sortiersaal und das Wohnhaus in Kaulsdorf durch Bombentreffer zerstört und ein Geschäftsbetrieb nicht mehr möglich. Die Liegenschaft gelangte zunächst unter Verwaltung der Francke’schen Grundstücksverwaltung mit Sitz in Westberlin. Mit dem Gesellschaftsbeschluss vom 6. November 1949 löste sich die Theodor Francke GmbH dann endgültig auf.[21]

Die Bedeutung der Elfenbeinbeinbleiche

Die Elfenbeinbleiche der Theodor Francke GmbH in Kaulsdorf zeigt auf, wie eng die wirtschaftlichen Unternehmungen mit den Ausbeutungen der Kolonien verbunden waren. Sie zeigt auch, dass der Kolonialismus auch in ländlichen Regionen Spuren hinterließ. Während das Zentrum des deutschen Kolonialismus in Berlin lag, bot das angrenzende ländlichere Kaulsdorf für wirtschaftliche Unternehmungen wie die Elfenbeinbleiche Raum und eine gute Anbindung an Berlin.

Heute erinnert an die kolonialen Handelsgeschäfte der Theodor Francke GmbH in Kaulsdorf nichts mehr. Die Bleichhäuser auf dem ‚Sonnenhügel‘ gab es schon lange nicht mehr, als 2012 auch das leerstehende Wohn- und Geschäftshaus abgerissen wurde.

 

provided by Museum Marzahn-Hellersdorf

Elfenbeinbleiche 1937 mit dem Wohnhaus im Vordergrund und dem Hinterhaus mit anschließendem (nicht sichtbarem) Bleichhaus im Hintergrund. © Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-09-03 Nr. 66-5317 / Foto: k. A.

Skizze zum Aufbau eines Bleichhauses aus dem Jahr 2003. Die Zeichnung stellt anschaulich dar, wie Sonneneinstrahlung zum Bleichen des Elfenbeins genutzt wurde. © BERLIN-ARCHIV Gerhard und Karin Satke

Ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus der Elfenbeinbleiche kurz vor dem Abriss 2012. In den 1950er Jahren wird das Gelände von einer Firma für Gummilösungen und Klebemittel genutzt. In den 1980er Jahren eröffnet ein Baugeschäft. © BERLIN-ARCHIV Gerhard und Karin Satke

Mirja Memmen

ORT

HEUTE

Alt-Kaulsdorf 26-30

Zitieren des Artikels

Mirja Memmen: Koloniale Handelsgeschäfte in Marzahn-Hellersdorf: Die Elfenbeinbleiche in Kaulsdorf. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/koloniale-handelsgeschaefte-in-marzahn-hellersdorf-die-elfenbeinbleiche-in-kaulsdorf/ (21.12.2023).

Literatur & Quellen

[1] Theodor Francke Gmbh: 75 Jahre Theodor-Francke GmbH, 1866-1941, Berlin 1941, S. 1

[2] Die damalige Adresse war „An der Schleuse 9“. Heute gibt es diese Straße nicht mehr: Die ehemalige Straße ist ein Fußweg, der die Friedrichsgracht bis zum Schloßplatz verlängert.

[3] Theodor Francke GmbH, S. 1.

[4] Ein Geheimnis des Theodor-Francke-Parkes. In: Völkischer Beobachter, 15.1.1936.

[5] Cremer, Christoph Joseph: Das gewerbliche Leben im Kreis Teltow, aus Veranlassung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, Berlin 1900, S. 89.

[6] Grundbuchheft von Kaulsdorf Kreis Niederbarnim Band 42, Blatt Nr. 1246.

[7] Königlicher Amtsbericht Lichtenberg, Kaufvertrag v. 6. Juli 1910 zwischen Gutsbesitzer Eugen Voigt, Kaulsdorf und Kaufmann Emil Dreyer, Berlin.

[8] 75 Jahre Theodor Francke GmbH, S. 5.

[9] 75 Jahre Theodor-Francke GmbH, S. 3.

[10] Wörrle. Bernhard: Die dunkle Seite der Technik. Koloniale Materialen, in: Blog Deutsches Museum, URL:   https://blog.deutsches-museum.de/2020/11/05/die-dunkle-seite-der-technik-koloniale-materialien (zuletzt abgerufen am 12.12.2023).

[11] 75 Jahre Theodor Francke GmbH, S. 5.

[12] Atosch, Jan: Die deutsche Kolonie Kamerun, in: LeMO, Lebendiges Museum Online, URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/aussenpolitik/die-deutsche-kolonie-kamerun.html (zuletzt abgerufen am 12.12.2023).

[13] Wörrle, Bernhard.

[14] Dreyer, Paul: Vom Elefanten, vom Elfenbein, seiner Verwendung und vom Elfenbeinhandel, in: Schriftenreihe Deutsche Wirtschaft in Einzeldarstellungen, Elfenbeinschnitzerei und Elfenbeinhandwerk unter besonderer Berücksichtigung der Elfenbeinschnitzerzentrale Erbach, Frankfurt a.M. o. J.

[15] Sarneck. Ilse: Theodor Francke und die Luisenstadt. Ein Beitrag zur Stadt- und Familiengeschichte, in: Verein für die Geschichte Berlins (Hrsg.): Jahrbuch Der Bär von Berlin, Berlin 1969, S. 85-93, S. 89.

[16] 75 Jahre Theodor Francke GmbH., S. 4

[17] H. Glenn, Penny: In Humboldts Shadow. A Tragic History of German Ethnolgy, Princeton 2021, S. 82.

[18] Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin, Signatur: SMB-EM, I/MV 0766, E 1041/1899, Fol. 136, Blatt 274, 276.

[19] 75 Jahre Theodor Francke Gmbh, S. 5

[20] 75 Jahre Theodor Francke GmbH, S. 6.

[21] Satke, Karin: Die Elfenbeinbleiche auf dem Sonnenhügel, in: Kaulsdorfer Häuserchroniken Heft 3, Kaulsdorf 2005, S. 29

Tags

Download PDF