Kolonialwarenläden im heutigen Marzahn-Hellersdorf

Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist heute vor allem für seine Großwohnsiedlungen bekannt. In der Zeit des deutschen Kaiserreichs – und somit in der Zeit deutscher Kolonialherrschaft – waren die heute zum Bezirk gehörenden Ortsteile Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf, Marzahn und Hellersdorf noch Dörfer. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Orte durch Bahnhaltestellen mit Berlin verbunden und 1920 als Teil des Bezirks Lichtenberg nach Berlin eingemeindet.[1] Die Hauptstadt steht seit geraumer Zeit im Fokus der Erforschung und Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte. Die koloniale Vergangenheit der Berliner Randbezirke und des Brandenburger Umlandes bleibt dabei oft unberücksichtigt.

Kolonialismus erscheint meist als urbanes Phänomen. Berlin als Kolonialmetropole mit ihren kolonialpolitischen Ämtern, bürgerlichen Kolonialvereinen und (pseudo-)wissenschaftlichen Gesellschaften steht dafür exemplarisch. Dieser Fokus greift zu kurz, um den Kolonialismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen zu beschreiben. Koloniale Spuren finden sich auch in anderen Bevölkerungsgruppen und in der Peripherie des Kaiserreichs.[2] Ein anschauliches Beispiel für die Einbindung des ländlichen Raums in koloniale Strukturen sind sogenannte Kolonialwarenläden. Diese eröffneten seit Ende des 19. Jahrhunderts überall im Kaiserreich und existierten oft bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein – auch in den damaligen Dörfern und Siedlungsgebieten, die heute zum Bezirk Marzahn-Hellersdorf gehören.[3]

Das Beispiel der Kolonialwarenläden zeigt koloniale Spuren in Marzahn-Hellersdorf auf. Doch was sind Kolonialwaren und wo, wie und wann wurden sie im Bezirk verkauft? Woher kamen die Produkte und unter welchen Bedingungen wurden sie hergestellt? Welche gesellschaftliche Bedeutung hatte ihr Konsum und welche Debatten gingen mit dem Import kolonialer Güter einher? Dieser Beitrag nähert sich den aufgeworfenen Fragen anhand exemplarischer Kolonialwarenläden aus Biesdorf, Kaulsdorf und Marzahn und stellt die Läden im Bezirk zugleich in den Kontext globaler Handels- und Herrschaftsverhältnisse.

Kolonialwaren und Kolonialwarenläden

Der Begriff „Kolonialware“ wurde ab dem 18. Jahrhundert für Fernhandelsgüter üblich, die seit der frühen Neuzeit als Luxuswaren nach Europa importiert wurden. Kolonialwaren sind somit Ergebnis und zugleich Ausdruck früher Globalisierungsprozesse.[4] Bei den Waren handelte es sich um Rohstoffe wie Elfenbein, Jute oder Indigo sowie um Genussmittel wie Gewürze, Tee, Tabak oder Obst.[5] Diese wurden zunächst in auf Kolonialwaren spezialisierten Kaufhäusern angeboten. Das sogenannte »Kolonialhaus« in der Schöneberger Lützowstraße war das größte Kolonialhandelshaus des Deutschen Reichs. Als solches verfügte es über ein repräsentatives Handelsgebäude mit prachtvollen Fassaden, krönende Kuppeln und koloniale Motive mit »exotisierenden« Darstellungen kolonisierter Menschen. In den Verkaufsregalen standen neben importierten Lebens- und Genussmitteln auch sogenannte Ethnographica wie Schmuck, Skulpturen und Waffen, Alltagsgegenstände und Galanteriewaren wie Felle, Straußeneier oder Schnitzereien aus Elfenbein.[6] Über derlei Prunk und die vermeintlich »exotische« Dekoration des Schöneberger »Kolonialhauses« verfügten nur wenige Kolonialwarengeschäfte. Auf dem Land – und so auch im Gebiet des heutigen Bezirks Marzahn-Hellersdorf – handelte es sich meist um kleine Familienbetriebe mit einem in das Wohnhaus integrierten Verkaufsraum, die den Charakter von Kram- und Gemischtwarenläden trugen (Abb. 1).[7]

Der Begriff „Kolonialware“ wurde im 20. Jahrhundert zunehmend synonym zu „Lebensmittel“ verwendet und meinte neben den importierten Gütern auch Grundnahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs. Die zeitgenössische Kategorisierung als Kolonialwarenladen gibt folglich nicht unmittelbar Aufschluss über das dort angebotene Sortiment und dessen Ursprung. Zugleich existierten Läden, die koloniale Produkte wie Kaffee, Tee oder Tabak anboten, jedoch im Geschäftsnamen nicht explizit auf den Warenursprung verwiesen. Dies erschwert eine numerische Erfassung des Kolonialwarenhandels im Bezirk.

Bemerkenswert ist eine Vielzahl von Geschäften in Marzahn-Hellersdorf, die von Frauen betrieben wurden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die kleinen Läden oft einen Zuverdienst für die Familien bedeuteten. Ein Beispiel ist das Geschäft von Bertha Conrad in Biesdorf-Nord. Von 1908 bis 1918 führte sie in der Kaiserstraße 64 (heute Eckermannstr. 160) eine Kolonialwarenhandlung, während ihr Mann Gustav als Tischler arbeitete. In den 1920er Jahren betrieb Bertha Conrad einen Kiosk mit Erfrischungen am Bahnhof, wo sie unter anderem Schokolade, Tabak und Zigaretten verkaufte. Auch die gemeinsame Tochter Franziska Bickel (geb. Conrad) war von 1922 bis 1929 Inhaberin eines Kolonialwarenladens in der Königstraße 17 in Biesdorf, heute Otto-Nagel-Straße (Abb. 2 und 3).

Kolonialwarenläden als glokale Orte

Kolonialwarenläden waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teil der Alltagswelt – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Der Verkauf und Konsum kolonialer Güter und Waren machte die Dörfer und Siedlungsgebiete zu Gliedern in der globalen Verwertungskette von kolonialen Ressourcen. Die lokalen Läden setzten die Dörfer in Beziehung zur übrigen beziehungsweise überseeischen Welt. Die Historikerin Johanna Strunge bezeichnet Kolonialwarenläden daher als glokale Orte.[8] Glokal setzt sich zusammen aus global und lokal: Die lokalen Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf waren in eine globale Konsumgeschichte verwoben.

Ihre Geschichte ist Teil des deutschen Kolonialismus und geht zugleich über diesen hinaus – sowohl zeitlich als auch räumlich. Die Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf bestanden auch nach der Zeit der formellen deutschen Kolonialherrschaft fort, die durch die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg endete. Viele Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf eröffneten sogar erst zur Zeit der Weimarer Republik oder des Nationalsozialismus. Einige hatten noch über den Zweiten Weltkrieg hinaus Bestand, bis in der DDR die Bezeichnung „Kolonialware“ aus dem Sprachgebrauch verschwand. Jedoch wurden viele der ehemaligen Kolonialwarenläden im Bezirk als reguläre Lebensmittelgeschäfte weitergeführt oder fungierten als Konsum-Verkaufsstellen. Beispiele hierfür sind der Kolonialwarenladen Padlowski, der bis in die 1940er Jahre in Alt-Marzahn bestand und in dessen Räumlichkeiten von 1955 bis 1969 eine Konsum-Verkaufsstelle untergebracht war, oder die Kolonialwarenläden in der Kaulsdorfer Zanderstraße 23 und Hönower Straße 184 in Mahlsdorf, die vom Kolonialwaren- zum Feinkostladen und schließlich zum Konsum wurden. Auch das Geschäft, das Ella und Otto Staaks von 1930 bis 1940 in Biesdorf (Alt-Biesdorf 62) als Kolonialwarenhandlung führten, hatte lange Bestand. Über Jahrzehnte betrieb die Familie den Laden als Lebensmittelgeschäft. Mit der wirtschaftlich- und rentenbedingten Geschäftsaufgabe schloss 2002 in Alt-Biesdorf das letzte Lebensmittelgeschäft.

Nicht nur zeitlich, auch bezüglich der Importregionen blieb der Kolonialwarenhandel nicht auf die deutschen Kolonien beschränkt. Im Gegenteil: Selbst zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft deckte die dortige Produktion nur einen geringen Teil des Bedarfs an Kolonialwaren im Kaiserreich ab.[9] Der »kolonialdeutsche« Marktanteil von Kakao lag 1904 gerade einmal bei 2,2 Prozent.10] Auch der Erfolg des deutschen »Kolonialkaffees« war marginal.[11] Oft hatten die Produkte aus den deutschen Kolonien eine mindere Qualität und einen höheren Preis. Diesen zu bezahlen waren nur wenige national gesinnte Kolonialenthusiast:innen bereit, die mit ihrer persönlichen Kaufentscheidung eine Stärkung der deutschen Kolonialwirtschaft beabsichtigten.[12] Anstelle der eigenen Kolonien waren die wichtigsten Handelspartner für das Deutsche Reich in Afrika Marokko, Ägypten und Südafrika – Regionen unter britischem oder französischem Einfluss.[13] Zu großen Teilen stammten die Genussmittel jedoch gar nicht aus Kolonien. So kamen neunzig Prozent des Kaffees aus Lateinamerika, wo dieser zumindest nicht offiziell unter kolonialen Rahmenbedingungen hergestellt wurde. Im Jahr 1900 war Brasilien der größte Einzellieferant für Kaffee nach Deutschland und Ecuador für Kakao.[14] Die Kaffeewerbung suggerierte mit ihren Illustrationen und Produktbeschreibungen jedoch häufig einen kolonialen Ursprung der Bohnen und stand somit im Widerspruch zur tatsächlichen Herkunft.[15] Dies spricht dafür, dass die kolonisierte Welt auf die deutschen Konsument:innen eine Faszination und Anziehungskraft ausübte.[16]

Kolonialwaren: Vom Luxus zum Alltagsprodukt

Die Geschichte der Kolonialwarenläden steht im Zusammenhang mit einer sich wandelnden Konsumkultur. Aus Übersee importierte Waren, insbesondere Gewürze und Tee, hatten zunächst den Charakter von Luxusgütern. Sie boten nicht nur die Möglichkeit, neue Geschmäcker zu erleben. Umgeben von einer vermeintlich »exotischen« Aura ermöglichten sie außerdem eine Art imaginatives Reisen und einen Ausbruch aus alltäglichen Essgewohnheiten. Zugleich demonstrierte der Konsum der raren und kostspieligen Lebensmittel Status und Wohlstand.[17]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die kolonialen Waren verstärkt zu alltäglichen Massengütern.[18] Insbesondere der Konsum von Genussmitteln wie Kaffee, Tee, Kakao, Tabak oder Gewürzen stieg. Sinkende Preise ermöglichten breiteren Bevölkerungsschichten Zugang zu den Kolonialwaren. Die Preisreduktion führt der Historiker David Ciarlo auf den Produktionsanstieg durch das kapitalistische Plantagensystem und Sklavenarbeit sowie auf verbesserte transatlantische Transportmöglichkeiten zurück. Beim Zucker erhöhte sich der Verbrauch zwischen 1800 und 1900 von einem Pfund auf knapp 14 Kilogramm pro Jahr und Kopf und bis 1912 auf rund 22 Kilogramm.[19] Der die Kolonialwaren umgebende „Zauber des Exotischen“, so der Historiker Jürgen Osterhammel, hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts erschöpft. Er hatte sich von der Kulinarik hin zu visuellen Eindrücken verschoben, beispielsweise in Kolonialausstellungen oder sogenannten »Völkerschauen«.[20]

Die Kolonialware Kaffee

Der Konsum von Kaffee veranschaulicht den Wandel der Kolonialwaren vom Luxus- zum Alltagsprodukt. Zunächst der Oberschicht als Statusritual vorbehalten, war Kaffeetrinken um die Jahrhundertwende eine tägliche Ernährungsgewohnheit, Teil des Arbeitsalltags und eine beliebte Freizeitaktivität. Dies galt für alle gesellschaftlichen Kreise, auch wenn sich die Art der Zubereitung und die Orte des Konsums erheblich unterschieden.[21] In Marzahn-Hellersdorf konnte Kaffee in diversen Kolonialwarenhandlungen und Lebensmittelgeschäften erworben werden (Abb. 4 und 5). 1922 eröffnete zudem in der Mahlsdorfer Fritz-Reuter-Straße 11 die erste Filiale von Kaiser’s Kaffee im Bezirk.

Kaffee war nicht nur eine koloniale Ware, sondern auch Gegenstand von kolonialer Politik und Propaganda. Zwar war Ende des 19. Jahrhunderts der Kaffeekonsum hoch, doch Bohnenkaffee blieb teuer. Dementsprechend nahm die Qualität des Kaffees entlang der sozioökonomischen Schichten ab, am unteren Ende wurde der Kaffee gestreckt oder mit Ersatzprodukten aus Getreide zubereitet. Daraus ergab sich ein allgemeines Verlangen nach billigem Bohnenkaffee, das von der Kolonialbewegung agitatorisch aufgegriffen und geschickt politisch nutzbar gemacht wurde. Ihr Argument war, dass der Import von Kaffee aus anderen kolonialen Anbaugebieten zu teuer sei, der Anbau in eigenen deutschen Kolonien hingegen Kaffee für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich machen würde. Die Debatte um Kolonialwarenhandel ist folglich auch im Kontext von sozialen Widersprüchen im Kaiserreich zu verstehen. Die Verfügung über billige Kolonialwaren war im Sinne einer sozialimperialistischen Lesart nicht nur Bestandteil der nach außen gerichteten Weltmachtpolitik, sondern auch der nach innen gerichteten Gesellschaftspolitik.[22] Somit wurde das deutsche koloniale Projekt als Mittel zur Befriedigung von Massenkonsumbedürfnissen im Kaiserreich legitimiert.[23]

Kolonialwaren, Herrschaft und Gewalt

Das kurzzeitige Gleichheitsversprechen bezogen auf den Abbau von Klassenunterschieden im Kaiserreich blieb uneingelöst. Es ging jedoch einher mit der Etablierung eines Systems der Ungleichheit und Abhängigkeit zwischen der kolonisierenden und der kolonisierten Welt.[24] Die koloniale Herrschaft bedeutete für die lokale Bevölkerung Unterdrückung und Ausbeutung. Die Einrichtung von auf den Export von Kolonialwaren ausgerichtete Plantagenanlagen beruhte auf einer rücksichtslosen Landpolitik und gewaltsamen Enteignungen. Auf den Plantagen herrschten miserable Arbeitsbedingungen; die Arbeiter:innen wurden häufig unter Zwang rekrutiert und inhuman behandelt.[25]

Der Zugriff auf billige Kolonialwaren war nur möglich durch eine im Kern repressive und ausbeuterische Kolonial- und Wirtschaftspolitik. Der in den Kolonialwaren inhärente Herrschaftsaspekt wurde, so Ciarlo, den Konsument:innen nicht verschwiegen, sondern wurde bei der Präsentation der Produkte hervorgehoben. Ciarlo nimmt an, dass die Machtdifferenzen die Waren sogar attraktiver machten: „Die Verbraucher finden sich so in der Situation der Kolonialherren, deren Überlegenheit sich aus dem Konsum von Kolonialwaren herleitet.“[26]

Somit homogenisierte der Diskurs um Kolonialwaren – die soziale Realität negierend – die Konsument:innen unabhängig von ihrer sozialen Klasse zu Europäer:innen auf der Seite des Konsums im Gegensatz zu den Kolonisierten auf der Seite der Produktion. Auch die Kaffeewerbung trug mit Bildern von »Exotik« und Differenz zur Konstruktion vermeintlicher europäisch-afrikanischer Gegensätze bei und festigte Vorstellungen von einem europäischen Selbst und dem kolonisierten Anderen.[27]

Welche Rolle ist Kolonialwarenläden im Kontext der gewaltsamen kolonialen Herrschaftsverhältnisse zuzuschreiben? Die Deutsche Kolonialzeitung beschrieb 1899 das oben erwähnte Deutsche »Kolonialhaus« als nutzbringend für die Kolonialbewegung.[28] Auch der Historiker Joachim Zeller schreibt dem Handelshaus eine zentrale Rolle in der Verbreitung und Popularisierung von Kolonialwaren zu. Für die Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf ist dies in weitaus geringerem Maße der Fall. Als Gemischtwarenläden waren sie mehr Teil einer lokalen Nahversorgungsstruktur als unmittelbarer Ausdruck unerfüllter Sehnsüchte, kolonialer Begeisterung oder eines extravaganten Konsumverhaltens der Dorfbewohner:innen. Vielmehr bedienten die Läden die Nachfrage nach Gütern, die zum Zeitpunkt der Eröffnungen bereits zu Massenprodukten und Grundnahrungsmitteln geworden waren. Die Bedeutung der Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf ergibt sich weniger aus der Zentralität einzelner Geschäfte wie dem »Kolonialhaus«, sondern aus der Summe der Läden, die rund ein halbes Jahrhundert lang in allen Ortsteilen zum lokalen Einzelhandel gehörten. Die Kolonialwarenläden im Bezirk waren Teil der Alltagskultur im kolonialen Zeitalter und verdeutlichen die Allgegenwärtigkeit von Kolonialismus. Als glokale Orte waren lokale Läden wie in Marzahn-Hellersdorf in ein Netz von imperialen Handelsbeziehungen und Herrschaftsverhältnissen verwoben und sind Teil einer geteilten europäischen Kolonialvergangenheit.

2005 eröffnete in der Großsiedlung Marzahn für kurze Zeit ein Laden, der sich „Kolonial-Markt“ nannte. Er warb mit „Schiffladungen direkt vom Produzenten“ und ständigen „Neu-Importe[n] aus aller Welt“ sowie einer „Tiefpreisgarantie im Umkreis von 8 Kilometern“. Die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist heute präsenter als 2005. Dadurch erreichen postkoloniale Debatten um Europas koloniales Erbe, um Restitution und politische Verantwortung eine breitere Öffentlichkeit. Die Eröffnung eines „Kolonial-Markts“ wäre heute nur unter Protest der postkolonialen Öffentlichkeit möglich und durch diese womöglich zu verhindern.

provided by Museum Marzahn-Hellersdorf

Abb. 1: Ein prunkloser Kolonialwarenladen auf dem Land (1925): Die Posthilfestelle in der Kaulsdorfer Waldstraße 24 fungierte zugleich als kleiner Kolonialwarenladen der Familie Smigula. Die Anschrift auf der Hausfassade gibt Auskunft über das Sortiment: Neben Butter, Eiern und Käse standen auch Zigarren, Zigaretten und Kautabak zum Verkauf. © Sammlung Karl-Heinz Gärtner

Abb. 2: Die Kolonialwarenhandlung von Bertha Conrad in der Kaiserstraße 64 (um 1912) © Sammlung Karl-Heinz Gärtner

Abb. 3: Kolonialwarenhandlung von Franziska Bickel in der Königstraße 17, heute Otto-Nagel-Straße (um 1928) © Sammlung Karl-Heinz Gärtner

Abb. 4 und 5: Mit dieser Karte bestellte der Marzahner Kaufmann Isidor Riesenburger 1921 Kaffeebohnen bei einem Hamburger Gr0ßhändler für Kaffee. Die jüdische Familie Riesenburger führte von 1914 bis 1934 ein Kaufhaus in der Dorfstraße 6a (heute Alt-Marzahn 39). In Adressbüchern wird das Geschäft mitunter als Kolonialwarenladen aufgelistet. 1935 wechselte der Eigentümer, die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um einen Verkauf unter Zwang handelte. Isidor Riesenburger sowie seine Schwestern Renate und Frida und weitere Familienangehörige überlebten die Schoa nicht, sie wurden 1943 in Auschwitz ermordet. © Sammlung Karl-Heinz Gärtner

Transkription: Marzahn, den 27.4. Herrn Sebastian Seubert Hamburger 15. Senden Sie mir bitte sofort in M Bohnen- Kaffee gebr a 17-18, - pro Pfd in guter Quali tät. Hochachtend Is. Riesenburger

Marie Schneider

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Zitieren des Artikels

Marie Schneider: Kolonialwarenläden im heutigen Marzahn-Hellersdorf. In: Kolonialismus begegnen. Dezentrale Perspektiven auf die Berliner Stadtgeschichte. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/kolonialwarenlaeden-im-heutigen-marzahn-hellersdorf/ (16.11.2023).

Literatur & Quellen

[1] Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf. „Historisches“ [abgerufen am 25.09.2023: https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/ueber-den-bezirk/historisches/].

[2] Rebekka Habermas, „Colonies in the Countryside: Doing Mission in Imperial Germany“, Journal of Social History 50, Nr. 3 (2017): 502–3.

[3] Alle Angaben zu den Kolonialwarenläden in Marzahn-Hellersdorf beziehen sich auf die Ergebnisse einer durch das Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf in Auftrag gegebenen und von Karl-Heinz Gärtner durchgeführten Recherche zum Thema. Dabei wurden insbesondere lokale Adressbücher und Branchenverzeichnisse aus der Zeit des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus untersucht, ergänzt durch vielfältiges Quellenmaterial aus Archiven und privaten Sammlungen.

[4] Reinhard Wendt, „Kolonialwaren“, in Europäische Erinnerungsorte, Band 3: Europa und die Welt, hg. von Pim den Boer u. a. (München, 2012), 207–8.

[5] Claus Füllberg-Stolberg, Peter Kriedte, und Volker Wünderich, „Vorbemerkung“, in Kolonialwaren für Europa. Zur Sozialgeschichte der Genußmittel, hg. von Claus Füllberg-Stolberg, Peter Kriedte, und Volker Wünderich (Berlin, 1994), 9. ). Zur Schwierigkeit einer näheren Bestimmung des Begriffs ‚Kolonialware‘ vgl. Jürgen Osterhammel, „Warenökonomie und Mobilitätsfolklore“, hg. von Ulrike Gleixner u. a., Zeitschrift für Ideengeschichte XV, Nr. 1 (2021): 13.

[6] Joachim Zeller, „Das ‚Deutsche Kolonialhaus‘ in der Berliner Lützowstraße“, in Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, hg. von Joachim Zeller und Ulrich van der Heyden (Berlin, 2002), 84–85.

[7] Bei den Marzahn-Hellersdorf ermittelten Läden wichen in den als Quellengrundlage genutzten Adressbüchern die private und die Geschäftsadresse nur selten voneinander ab. Vgl. auch: Hessen (post)kolonial. „Kolonialwarenläden“ [abgerufen am 25.09.2023: https://www.online.uni-marburg.de/hessen-postkolonial/doku.php?id=de:unternehmen:lebens-_und_genussmittel:kolonialwarenlaeden].

[8] Vgl. Johanna Strunge, „Musealisierte Kolonialwarenläden – Exponate einer glokalen Konsumgeschichte“, Historische Anthropologie, 30, Nr. 1 (2022): 72–91.

[9] David Ciarlo, „Die Aura des Exotischen. Werbliche Darstellung von Kolonialwaren im Kaiserreich“, in Konsum im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Christian Kleinschmidt und Jan Logemann, 2020, 252.

[10] Zeller, „Das ‚Deutsche Kolonialhaus‘ in der Berliner Lützowstraße“, 89.

[11] Julia Laura Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures: Coffee as a Colonial Product in the German Kaiserreich“, in Hybrid Cultures – Nervous States: Britain and Germany in a (Post)Colonial World, hg. von Ulrike Lindner u. a. (Boston, 2011), 116.

[12] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 252.

[13] Strunge, „Musealisierte Kolonialwarenläden“, 78.

[14] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 248; Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 116.

[15] Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 118–19.

[16] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 240–41; Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 125.

[17] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 238.

[18] Osterhammel, „Warenökonomie und Mobilitätsfolklore“, 13. Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 240–42.

[19] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 248; Reinhard Wendt, „Die Verzuckerung der Welt“, hg. von Ulrike Gleixner u. a., Zeitschrift für Ideengeschichte XV, Nr. 1 (2021): 34. Hinzu kommt, dass der Zucker seinen Charakter als Kolonialware verlor, da der importierte Rohrzucker zunehmend durch heimischen Rübenzucker ersetzt beziehungsweise vom Markt gedrängt wurde (ebd.).

[20] Osterhammel, „Warenökonomie und Mobilitätsfolklore“, 13.Vgl. auch: Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 248.

[21] Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 109, 124.

[22] Volker Wünderich, „Die Kolonialware Kaffee von der Erzeugung in Guatemala bis zum Verbrauch in Deutschland. Aus der transatlantischen Biographie eines ‚produktiven‘ Genußmittels (1860-1895)“, in Kolonialwaren für Europa. Zur Sozialgeschichte der Genußmittel, hg. von Claus Füllberg-Stolberg, Peter Kriedte, und Volker Wünderich (Berlin, 1994), 59–60.

[23] Vgl. Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 116, 124.

[24] Vgl. Gerhard Pfeisinger, „Kolonialwaren in der Weltwirtschaft“, in Kolonialwaren: die Schaffung der ungleichen Welt, hg. von Gerhard Pfeisinger und Stefan Schennach (Göttingen, 1989), 11.

[25] Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte (München, 2011), 30,36.

[26] Ciarlo, „Die Aura des Exotischen“, 242–43, Zitat 259.

[27] Rischbieter, „(Trans)National Consumer Cultures“, 116, 121, 124.

[28] Zeller, „Das ‚Deutsche Kolonialhaus‘ in der Berliner Lützowstraße“, 87–88.

 

Literatur

Ciarlo, David. „Die Aura des Exotischen. Werbliche Darstellung von Kolonialwaren im Kaiserreich“. In Konsum im 19. und 20. Jahrhundert, herausgegeben von Christian Kleinschmidt und Jan Logemann, 235–61, 2020.

Conrad, Sebastian. Deutsche Kolonialgeschichte. München, 2011.

Füllberg-Stolberg, Claus, Peter Kriedte, und Volker Wünderich. „Vorbemerkung“. In Kolonialwaren für Europa. Zur Sozialgeschichte der Genußmittel, herausgegeben von Claus Füllberg-Stolberg, Peter Kriedte, und Volker Wünderich, 9–10. Berlin, 1994.

Habermas, Rebekka. „Colonies in the Countryside: Doing Mission in Imperial Germany“. Journal of Social History 50, Nr. 3 (2017): 502–17.

Osterhammel, Jürgen. „Warenökonomie und Mobilitätsfolklore“. Herausgegeben von Ulrike Gleixner, Alexandra Kemmerer, Michael Matthiesen, und Hermann Parzinger. Zeitschrift für Ideengeschichte XV, Nr. 1 (2021): 5–13.

Pfeisinger, Gerhard. „Kolonialwaren in der Weltwirtschaft“. In Kolonialwaren: die Schaffung der ungleichen Welt, herausgegeben von Gerhard Pfeisinger und Stefan Schennach, 9–18. Göttingen, 1989.

Rischbieter, Julia Laura. „(Trans)National Consumer Cultures: Coffee as a Colonial Product in the German Kaiserreich“. In Hybrid Cultures – Nervous States: Britain and Germany in a (Post)Colonial World, herausgegeben von Ulrike Lindner, Maren Möhring, Mark Stein, und Silke Stroh, 107–26. Boston, 2011.

Strunge, Johanna. „Musealisierte Kolonialwarenläden – Exponate einer glokalen Konsumgeschichte“. Historische Anthropologie, 30, Nr. 1 (2022): 72–91.

Wendt, Reinhard. „Die Verzuckerung der Welt“. Herausgegeben von Ulrike Gleixner, Alexandra Kemmerer, Michael Matthiesen, und Hermann Parzinger. Zeitschrift für Ideengeschichte XV, Nr. 1 (2021): 26–35.

———. „Kolonialwaren“. In Europäische Erinnerungsorte, Band 3: Europa und die Welt, herausgegeben von Pim den Boer, Heinz Duchhardt, Georg Kreis, und Wolfgang Schmale, 207–13. München, 2012.

Wünderich, Volker. „Die Kolonialware Kaffee von der Erzeugung in Guatemala bis zum Verbrauch in Deutschland. Aus der transatlantischen Biographie eines ‚produktiven‘ Genußmittels (1860-1895)“. In Kolonialwaren für Europa. Zur Sozialgeschichte der Genußmittel, herausgegeben von Claus Füllberg-Stolberg, Peter Kriedte, und Volker Wünderich, 37–60. Berlin, 1994.

Zeller, Joachim. „Das ‚Deutsche Kolonialhaus‘ in der Berliner Lützowstraße“. In Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, herausgegeben von Joachim Zeller und Ulrich van der Heyden, 84–93. Berlin, 2002.

 

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